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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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Sherlock Holmes eine Weile da, streckte die Beine aus, legte die Fingerspitzen aneinander und blickte hinauf an die Decke. Dann nahm er die alte Tonpfeife, seine treue Ratgeberin, wie er sie nannte, vom Gesims, stopfte sie und lag bald, von dichten Rauchwolken umgeben, mit dem Ausdruck unendlicher Müdigkeit und Schlaffheit in seinem Stuhl.
    »Interessante Studie, das Mädchen«, bemerkte er. »Sie selbst ist interessanter als ihr Erlebnis, das, nebenbei gesagt, ein ziemlich abgedroschenes ist. Sie finden ähnliche Fälle in meinen Verzeichnissen vom Jahr 1877 in Andover, und etwas Gleichartiges trug sich im vorigen Jahr im Haag zu. Ist auch der Grundgedanke nicht neu, so waren es doch ein paar Nebenumstände. Aber das Mädchen selbst ist eine Studie.«
    »Sie müssen wieder vieles an ihr wahrgenommen haben, was für mich unsichtbar blieb«, bemerkte ich.
    »Sagen Sie lieber, was Sie nicht beachtet haben! Sie haben eben nicht hingesehen, wo Sie sollten. Bringt man Sie denn nie dahin, die Wichtigkeit der Ärmel zu würdigen oder die vielsagende Beschaffenheit der Fingernägel oder wichtige Schlüsse aus einem Stiefelknopf zu ziehen? Sagen Sie mir einmal, was haben Sie an der äußeren Erscheinung dieses Mädchens wahrgenommen?«
    »Nun, sie trug einen schiefergrauen großen Hut mit einer ziegelroten Feder. Ihre schwarze Jacke war mit Perlen benäht und hatte einen schmalen Pelzbesatz. Das Kleid war von dunkler Kaffeefarbe, und purpurroter Sammet verzierte Hals und Ärmel. Ihre grauen Handschuhe waren am rechten Zeigefinger zerrissen. Die Stiefel habe ich nicht angesehen. Sie trug kleine, runde und herabhängende Ohrringe und machte im Allgemeinen den Eindruck einer anständigen und wohlhabenden Person des gewöhnlichen Mittelstands.«
    Sherlock Holmes klatschte leise in die Hände und schüttelte sich vor Lachen.
    »Auf Ehre, Watson, Sie machen brillante Fortschritte! Gut – sehr gut. Das Wichtigste haben Sie freilich übersehen, haben aber Methode bewiesen und einen scharfen Blick für Farben gezeigt. Trauen Sie nur nie allgemeinen Eindrücken, mein Junge, auf die Einzelheiten muss man achten. Mein erster Blick gilt stets dem Ärmel einer Frau. Bei dem Mann kommt es vielleicht noch mehr auf die Knie der Hose an. Wie du bemerktest, hatte das Mädchen Sammet an den Ärmeln, in Bezug auf Eindrücke und Spuren ein höchst nützliches Material. Die doppelte Linie über dem Handgelenk, wo die Maschinenschreiberin gegen den Tisch drückt, trat prächtig hervor. Die Handnähmaschine hinterlässt ähnliche Streifen, aber nur am linken Arm und auf der Seite, während sich diese gerade über den breitesten Teil hinzogen. Dann blickte ich in ihr Gesicht, und da ich den Druck eines Klemmers zu beiden Seiten ihrer Nase wahrnahm, wagte ich eine Bemerkung über Kurzsichtigkeit in Verbindung mit Maschinenschreiben, welche sie sichtlich überraschte.«
    »Mich nicht minder.«
    »Die Sache lag doch klar auf der Hand. Sodann fiel mir auf, dass sie zwei verschiedene Stiefel trug; der eine hatte eine verzierte Kappe, der andere nicht. An dem einen hatte sie von fünf Knöpfen nur die zwei untersten zugeknöpft, beim anderen nur den ersten, dritten und fünften. Verlässt eine sonst sorgsam gekleidete junge Dame das Haus mit zweierlei nur halb zugeknöpften Stiefeln, gehört nicht viel dazu, um den Schluss zu ziehen, dass sie eilig fortgegangen ist.«
    »Und was noch?«, fragte ich so gespannt wie immer, wenn mein Freund seine scharfen Beobachtungen aussprach.
    »Ferner bemerkte ich, dass sie, bereits fertig angezogen, noch geschrieben hatte, ehe sie das Haus verließ. Sie haben zwar bemerkt, dass ihr rechter Handschuh am Mittelfinger zerrissen war, haben aber offenbar einen lila Tintenfleck an Handschuh und Finger übersehen. Sie hatte in der Eile geschrieben und die Feder zu tief eingetaucht – und zwar heute Morgen, sonst wäre der Fleck am Finger nicht so deutlich gewesen. Ja, ja, das alles ist spaßig, wenn auch einfach genug. Jetzt aber muss ich an die Arbeit, Watson. Tun Sie mir den Gefallen und lesen Sie mir die Personalbeschreibung des gesuchten Hosmer Angel vor.«
    Ich hielt den Zeitungsausschnitt an das Licht:
    »Vermisst seit dem 14. morgens ein Herr namens Hosmer Angel. Derselbe ist groß, kräftig gebaut, blass, hat schwarzes Haar, eine kahle Stelle auf dem Kopf, starken, dunklen Backen- und Schnurrbart; er trägt eine dunkle Brille und hat einen kleinen Sprechfehler. Seine Kleidung bestand, als er zuletzt gesehen wurde,

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