Sherlock Holmes - gesammelte Werke
zusammengepresst, und an seinem langen, sehnigen Hals traten die Adern wie gespannte Saiten hervor. Seine Nasenflügel schienen vor wilder Jagdlust zu beben, und er war so voll und ganz bei der Sache, dass er eine an ihn gerichtete Frage oder Bemerkung kaum vernahm und höchstens mit einem raschen, ungeduldigen Knurren erwiderte. Schnell und schweigsam schritt er auf dem Pfad durch die Wiesen und dann durch den Wald zum Teich. Der Boden war, wie in der ganzen Umgegend, feuchter Moorboden, und es fanden sich auf dem Pfad selbst wie auf dem schmalen Grasstreifen daneben viele Fußspuren. Bald eilte Holmes voran, bald stand er regungslos da, und einmal ging er eine kurze Strecke auf die Wiese. Lestrade und ich schritten hinter ihm drein; der Detektiv gleichgültig und würdevoll, während ich jeder Bewegung meines Freundes gespannt folgte, denn ich wusste genau, dass alles, was er tat, einen bestimmten Zweck hatte.
Der Boscombe-Teich, eine kleine, mit Schilf umsäumte Wasserfläche von etwa fünfzig Metern, liegt an der Grenze zwischen dem Pachtgut von Hatherley und dem Park des Mr Turner.
Drüben, über den Wäldern des jenseitigen Ufers, konnten wir die roten Türme sehen, die zu der Besitzung des reichen Eigentümers gehörten. Auf der in Richtung Hatherley gelegenen Seite des Teiches stand der Wald sehr dicht; nur ein schmaler Rand frischen Grases zog sich zwischen den Bäumen und dem Rohr hin, das den Teich begrenzte. Lestrade wies uns die genaue Stelle, wo die Leiche aufgefunden worden war; der Boden war so feucht, dass ich deutlich die Spuren sehen konnte, die der Fall des Körpers verursacht hatte. Holmes – das las man auf seinen gespannten Zügen und in seinem forschenden Blick – entnahm dem zertretenen Grasplatz noch viele anderen Dinge. Wie ein Jagdhund, der Beute wittert, lief er umher und wandte sich dann an meinen Gefährten.
»Warum sind Sie denn ins Wasser gegangen?«, fragte er.
»Ich fischte mit einem Rechen umher. Ich hoffte, irgendeine Waffe oder sonst eine Spur zu entdecken. Aber wie in aller Welt wissen Sie …?«
»Ach, papperlapapp! Jetzt habe ich keine Zeit! Ihr linker Fuß, mit seiner Drehung nach innen, ist ja allenthalben sichtbar. Dem vermöchte sogar ein Maulwurf zu folgen! Und hier verschwinden Ihre Schritte im Rohr. Ach! Wie einfach wäre vieles gewesen, hätte ich hier sein können, ehe alles wie von einer Büffelherde niedergestampft wurde. Hier kam die Gesellschaft mit dem Aufseher her, und sie hat wahrhaftig sieben bis acht Fuß um die Leiche herum alle Spuren zertrampelt. Aber hier – hier sind drei abgesonderte Abdrücke ein und desselben Fußes.« Holmes zog ein Vergrößerungsglas hervor und legte sich auf seinen Regenmantel nieder, um genauer sehen zu können, wobei er mehr mit sich selbst als mit uns sprach: »Das sind des jungen McCarthys Spuren. Zweimal ging er ruhig, und einmal lief er so geschwind, dass die Sohlen sehr kräftig, die Absätze nur ganz flüchtig eingedrückt sind. Darin liegt seine ganze Geschichte. Er lief, als er seinen Vater am Boden sah. Ferner sind hier die Fußstapfen des Vaters, als er auf- und abging – was ist aber das? Das Kolbenende des Gewehrs an der Stelle, wo der Sohn stand und aufhorchte. – Und dies? – Ha! Ha! Was haben wir hier? Fußspitzen! Fußspitzen! Und das sind breite – ganz ungewöhnliche Stiefel! Sie kommen – gehen – kommen wieder – natürlich wegen des Mantels, wo aber kamen sie her?« Holmes lief auf und ab, bald fand er die Spur, bald verlor er sie, bis wir an der Waldecke zu einer Buche, dem größten Baum der Umgegend, gelangten. Holmes ging weiter im Schatten des Baumes, legte wieder das Gesicht an den Boden und stieß einen leisen Ruf der Befriedigung aus. Lange Zeit blieb er in dieser Lage, durchsuchte Blätter und trockene Zweige, nahm, wie mich dünkte, etwas Staub in einen Briefumschlag und untersuchte mit seinem Glas nicht allein den Boden, sondern sogar die Rinde des Baumes, so hoch er reichen konnte. Ein spitzer Stein lag im Moos, auch den betrachtete er genau und nahm ihn zu sich. Dann folgte er einem Fußweg durch den Wald bis zur Landstraße, wo jede Spur verschwand.
»Das war ein höchst merkwürdiger Fall«, bemerkte er und nahm wieder sein gewohntes Wesen an. »Ich denke, das graue Haus dort muss die Wohnung des Aufsehers sein. Ich werde wohl hineingehen, ein paar Worte mit Moran reden und vielleicht einige Zeilen schreiben. Nachher können wir zum Frühstück zurückfahren. Gehen Sie bitte
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