Sherlock Holmes - gesammelte Werke
sprechen kann. Es war 1883 im August. Peter Carey war Kapitän der ›Sea Unicorn‹, und ich war Harpunierer. Als wir aus dem Eis heraus und heimwärts fuhren, stießen wir auf ein kleines Boot, das von den starken Südwinden nach Norden getrieben war. Es war nur noch ein Mann drin – ’n Landbewohner. Die Mannschaft hatte gefürchtet, es würde scheitern, und war in Richtung norwegische Küste geflohen. Ich glaube, sie sind alle untergegangen. Also, wir nahmen den Mann an Bord, und der Kapitän verhandelte lange mit ihm in der Kajüte. Sein ganzes Gepäck war ein kleines Kistchen gewesen. Soviel ich weiß, ist sein Name nie genannt worden, und in der zweiten Nacht war er schon für ewig verschwunden. Es wurde bekannt gemacht, dass er entweder selbst über Bord gegangen, oder in dem schweren Wetter, das wir hatten, über Bord gespült worden wäre. Nur einer wusste, wie’s zugegangen war, und das war ich, denn ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie ihn der Kapitän in einer finstern Nacht, zwei Tage bevor wir die Feuer der Shetlandinseln sichteten, an den Beinen gepackt und über die Reling geworfen hatte.
Nun, ich war ruhig und wartete, was kommen würde. Als wir in Schottland landeten, wurde die Sache einfach vertuscht; kein Mensch fragte genauer nach. Ein Fremder war infolge eines Unfalls umgekommen, wer hatte ein Interesse daran? Kurz danach gab Peter Carey das Seeleben auf, und es hat lange Jahre gedauert, ehe ich seinen Aufenthaltsort ausfindig machen konnte. Ich vermutete, dass er die Tat des kleinen Kistchens halber begangen hätte, um den Inhalt an sich zu bringen, und wünschte nun eine Entschädigung für mein Schweigen.
Durch einen Seemann, der ihn in London getroffen hatte, erfuhr ich, wo er war. Ich ging hinunter, um Druck auf ihn auszuüben. Die erste Nacht war er ziemlich vernünftig und bereit, mir soviel zu geben, dass ich nicht mehr zur See zu fahren brauchte. Wir kamen überein, am übernächsten Abend alles fertig zu machen. Als ich wiederkam, war er aber dreiviertel betrunken und hatte sehr schlechte Laune. Wir saßen zusammen und tranken und erzählten lange Geschichten und Heldentaten aus alten Zeiten. Aber je mehr er trank, desto weniger gefiel mir sein Gesicht. Ich ersah mir jene Harpune an der Wand als Waffe aus und nahm mir vor, sie zu gebrauchen, ehe ich mich von ihm niederstechen ließe. Endlich fuhr er auf mich los, scheltend und fluchend, mit wildfunkelnden Augen und griff nach einem großen Messer. Bevor er’s aber aus der Scheide gezogen hatte, steckte schon die Harpune in seinem Leib. Himmel! Was stieß er für’n Schrei aus! Und sein Gesicht werde ich noch im Traum sehen! Das Blut spritzte um mich herum.
Ich lauschte einen Moment. Alles war ruhig. Ich fasste mir noch mal ein Herz. Ich schaute mich um. Das Kistchen, das ich sofort erkannte, stand auf dem Wandbrett. Ich hatte genau soviel Anrecht drauf als Peter Carey. Ich nahm’s also mit und verließ das Häuschen. In meiner Dummheit ließ ich meinen Tabaksbeutel auf dem Tisch liegen.
Nun kommt das Merkwürdigste an der ganzen Geschichte. Ich war kaum draußen, als ich Schritte hörte. Ich verbarg mich im Gebüsch. Es schlich sich jemand an die Hütte, ging hinein, stieß einen Schrei aus, als wenn er einen Geist gesehen hätte, und lief fort, so rasch ihn seine Beine trugen. Wer er war und was er wollte, weiß ich nicht. Ich meinesteils wanderte zehn Meilen zu Fuß, erreichte in Tunbridge Wells den Zug und fuhr nach London.
Sobald ich dann Gelegenheit hatte, untersuchte ich das Kistchen, es war aber kein Geld drin, sondern nur Papiere, die ich nicht zu verkaufen wagen durfte. Ich hatte nun meine Stütze am schwarzen Peter verloren und stand ohne einen Pfennig in London. Es blieb mir also nichts weiter übrig, als wieder in meinem Beruf ein Unterkommen zu suchen. Ich las die Anzeige, dass Harpunierer gesucht würden, und zwar gegen hohen Lohn. Ich ging zum Agenten, der mich hierher schickte. Das ist alles, was ich aussagen kann, und ich wiederhole, dass ich den schwarzen Peter getötet habe, und dafür kann mir die Behörde dankbar sein, weil ich ihr dadurch das Geld für’n Strick gespart habe.«
»Ein recht klarer Tatbestand«, sagte Holmes und zündete sich seine Pfeife an. »Ich halte es nun fürs Beste, Mr Hopkins, wenn Sie Ihren Gefangenen möglichst bald an einen sicheren Ort bringen. Dieses Zimmer ist nicht als Zelle eingerichtet, und Mr Patrick Cairns nimmt einen verhältnismäßig zu großen Teil des
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