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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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und den bösartigen, breiten Gesichtern völlig lautlos umhergleiten sieht? Das ist ungefähr der Eindruck, den dieser Milverton auf mich macht. Ich habe in meinem Beruf mit etwa fünfzig Mördern zu tun gehabt, aber auch der schlimmste von ihnen war mir nicht so widerwärtig wie dieser eklige Mensch. Und doch muss ich leider geschäftlich mit ihm verhandeln – er kommt tatsächlich auf meine Einladung hierher.«
    »Was ist denn der Mensch?«
    »Das will ich Ihnen sagen, Watson, er ist der erste aller Erpresser. Gott sei dem oder noch mehr der Ärmsten gnädig, wenn Milverton ihre Geheimnisse in Erfahrung bringt. Mit lächelndem Mund und steinernem Herzen quetscht er sie aus wie eine Zitrone. Der Kerl ist genial in seiner Art und würde sich eine geachtete Stellung im Leben errungen haben, wenn er weniger anrüchige Geschäfte machte. Er geht in folgender Weise vor: Er lässt durchblicken, dass er für Briefe, die für reiche und hochgestellte Persönlichkeiten kompromittierend sind, hohe Summen zu zahlen bereit ist. Er bekommt dieses Material an Schriftstücken nicht nur von verräterischen Dienern und Dienstmädchen, sondern häufig auch von vornehmen Schurken, die in den Salons der feinen Welt verkehren und sich dort die Gunst und Zuneigung vertrauensseliger Weiber erworben haben. Dabei zahlt er nicht knauserig. Mir ist zufällig ein Fall bekannt, wo er einem Diener für bloße zwei Zeilen siebenhundert Pfund Sterling gegeben hat. Jener Fall endigte daraufhin natürlich mit dem Ruin einer hochangesehenen altenglischen Familie. Alles, was in dieser Beziehung vorkommt, gelangt zur Kenntnis von Milverton, und es gibt Hunderte auf dieser Insel, die bei der Nennung seines Namens erblassen. Kein Mensch weiß, was ihm noch für Gefahren von diesem Mann drohen, keine unüberlegte Jugendtorheit ist mehr harmlos und vergessen, wenn Milverton davon weiß, denn er ist so reich und so schlau, dass er nicht von der Hand in den Mund arbeitet. Ich sagte bereits, er sei der schlechteste Kerl in ganz London, und ich möchte Sie fragen, ob er nicht auch nach Ihrer Ansicht wirklich viel schlimmer ist als einer, der in der Leidenschaft seinen Gefährten niederschlägt; er, der planmäßig und zum Vergnügen seine Mitmenschen quält und martert, nur, um seine sowieso schon dicken Geldsäcke noch mehr zu füllen?«
    Ich hatte selten meinen Freund so tiefempfunden sprechen hören.
    »Aber der Kerl muss doch strafrechtlich irgendwie zu fassen sein«, sagte ich.
    »Theoretisch, gewiss; aber praktisch nicht. Was würde es einer Frau zum Beispiel nützen, wenn sie den Vampir ein paar Monate hinter Schloss und Riegel brächte und sich selbst dabei zugrunde richtete? Seine Opfer können nicht gegen ihn vorgehen. Wenn er jemals einen Unschuldigen bedrückte, dann wollten wir ihn wahrhaftig bald kriegen, aber er ist schlau wie der Teufel. Nein, nein, wir müssen auf andere Mittel und Wege sinnen, um ihm das Handwerk zu legen.«
    »Und weshalb kommt er her?«
    »Weil eine hochstehende Klientin mir ihren bedauerlichen Fall zu regeln übertragen hat. Es ist dies Miss Eva Brackwell, die gefeierte, schöne Debütantin der vergangenen Theatersaison. Sie will sich in ungefähr vierzehn Tagen mit dem Grafen von Dovercourt verheiraten. Dieser elende Milverton hat nun einige ziemlich unbesonnene Briefe von ihr in Händen – unbesonnene, Watson, durchaus keine schlimmen – die sie früher an einen armen Verehrer geschrieben hat. Sie würden aber in den Händen Milvertons genügen, um das Verhältnis zu lösen. Milverton will nun diese Schriftstücke dem Grafen zuschicken, wenn ihm nicht alsbald ein hoher Geldbetrag ausgezahlt wird. Ich habe jetzt den Auftrag, mich mit ihm in Verbindung zu setzen und mit ihm eine möglichst günstige Vereinbarung zu treffen.«
    In diesem Augenblick hörte ich vor unserem Haus auf der Straße den Hufschlag von Pferden und das Rasseln eines Wagens. Ich ging ans Fenster und sah einen eleganten Wagen mit zwei dampfenden Rappen unten halten. Ein Diener öffnete den Wagenschlag, und ein kleiner, dicker Mann in einem schweren Pelzmantel trat heraus auf den Fußsteig. In der nächsten Minute stand er uns in unserm Zimmer gegenüber.
    Charles Augustus Milverton war ein Mann von etwa fünfzig Jahren. Er hatte einen großen, klugen Kopf, ein rundes, bartloses Gesicht, ein stetes, eisiges Lächeln und zwei kühne, graue Augen, die hinter einer großen goldenen Brille hervorleuchteten. In seiner ganzen Erscheinung lag ein gewisses

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