Sherlock Holmes - gesammelte Werke
haben.«
»Sie sind entschieden zu weit gegangen!«
»Ich musste unbedingt diesen Schritt tun. Ich bin ein Klempner mit einem in die Höhe gehenden Geschäft und heiße Escott. Ich bin alle Abende mit ihr spazieren gegangen und habe mit ihr geplaudert. Lieber Himmel, diese Unterhaltung! Doch ich habe alles erfahren, was ich wollte. Ich kenne Milvertons Haus wie mein Taschenmesser.«
»Aber das Mädchen, Holmes!«
Er zuckte die Achseln.
»Es blieb nichts anderes übrig, Watson. Man muss alles riskieren, wenn so viel auf dem Spiel steht wie in diesem Fall. Doch ich bin froh, dass ich einen eifersüchtigen Nebenbuhler habe, der sicher meine Stelle einnehmen wird, sobald ich ihr den Rücken kehre. – Was für eine prächtige Nacht wir haben!«
»Haben Sie denn solches Wetter gern?«
»Jawohl, denn es passt für meine Zwecke. Heute Nacht beabsichtige ich, bei dem Gauner einzubrechen, Watson.«
Ich rang nach Atem und wurde eiskalt bei diesen Worten, die mein Freund langsam und im Ton fester Entschlossenheit gesprochen hatte. Wie ein Blitzstrahl in tiefdunkler Nacht für einen Augenblick alle Einzelheiten einer weiten Landschaft zeigt, so sah ich bereits alle Folgen einer solchen Handlung vor mir – die Entdeckung, die Gefangennahme, das schmachvolle Ende einer ehrenvollen Laufbahn und meinen Freund selbst von der Gnade dieses verhassten Milverton abhängig.
»Um Himmels willen, Holmes, bedenken Sie, was Sie tun!«, rief ich.
»Mein lieber Watson, ich habe mir die Sache nach allen Seiten hin wohl überlegt. Solange Sie mich jetzt kennen, hatten Sie Gelegenheit zu beobachten, dass ich nie überstürzt handle. Ich würde auch jetzt keinen so gefährlichen Weg wählen, wenn mir ein anderer übrig bliebe. Wir wollen uns die Sache noch mal in aller Ruhe klarmachen. Ich nehme natürlich an, dass Sie meine Handlungsweise moralisch gerechtfertigt finden, wenn sie auch geeignet ist, mich mit dem Strafgesetz in Konflikt zu bringen. Der Einbruch in seine Wohnung hat keinen anderen Zweck, als ihm mit Gewalt seine Brieftasche abzunehmen, eine Handlung, bei der Sie mir noch vor Kurzem zu helfen bereit waren.«
Ich überlegte sorgfältig.
»Jawohl«, antwortete ich, »es ist zweifellos moralisch zu rechtfertigen, solange wir weiter keinen Zweck verfolgen, als Dinge zu entwenden, die Milverton in gesetzwidriger Weise zu verwerten sucht.«
»Sehr richtig. Da es moralisch einwandfrei ist, habe ich nur noch das persönliche Risiko zu erwägen. Sicherlich würde ein Gentleman kein großes Gewicht darauf legen, wenn eine Dame sich in äußerster Not befindet und seiner Hilfe bedarf?«
»Sie befinden sich tatsächlich in einer solch verzwickten Lage, Holmes.«
»Gut, dann darf ich die Gefahr nicht scheuen. Es gibt keine andere Möglichkeit, die gefährlichen Briefe zu bekommen. Die unglückliche Dame hat das Geld nicht und auch keine Bekannten, denen sie sich anvertrauen könnte. Morgen verstreicht ihre Galgenfrist, und wenn wir nicht in dieser Nacht die Briefe in unseren Besitz bringen können, wird dieser Schurke ohne Frage Miss Brackwell ins Unglück stürzen. Ich muss also meine Klientin ihrem Schicksal überlassen oder diesen letzten Streich wagen. Unter uns gesagt, Watson, ist es auch noch ein Entscheidungskampf zwischen diesem elenden Milverton und mir. Er hat, wie Sie gesehen haben, den Anfang gemacht, und meine Achtung vor mir selbst und mein Ruf verlangen nun, dass ich den Kampf zu Ende kämpfe.«
»Nun, ich finde es nicht gerade schön, aber ich gebe zu, dass es sein muss«, erwiderte ich. »Wann brechen wir auf?«
»Sie sollen nicht mit.«
»Dann gehen Sie auch nicht«, versetzte ich bestimmt. »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – ich habe es noch nie gebrochen –, dass ich einen Wagen nehme und direkt die Polizei in Kenntnis setze, wenn Sie mich heute Nacht nicht mitkommen lassen.«
»Sie können mir nicht helfen.«
»Wie wollen Sie das wissen? Sie können nicht voraussehen, wie es geht. Jedenfalls mein Entschluss steht fest. Andere Menschen haben auch ihre Selbstachtung und sogar mehr.«
Holmes blickte anfangs ärgerlich und missmutig drein, aber sein Gesicht klärte sich bald wieder auf, und er klopfte mir auf die Schulter.
»Gut, gut, mein Lieber, Sie haben Recht. Wir haben jahrelang dasselbe Zimmer geteilt, und es würde spaßig sein, wenn wir am Ende auch in derselben Zelle zusammensäßen. Wissen Sie, Watson, ich geniere mich Ihnen gegenüber nicht, zu gestehen, dass ich stets den Gedanken hatte, dass
Weitere Kostenlose Bücher