Sherlock Holmes - gesammelte Werke
Zigarette. Ich freue mich, dass Sie sie so zu schätzen wissen. Ein Fächer, ein Handschuh, ein Kneifer – wer weiß, was für Sachen einem Menschen, der sich das Leben nehmen will, als Andenken und teuere Schätze erscheinen? Dieser Herr spricht von Fußstapfen auf dem Rasen; aber, man kann sich dabei leicht irren. Das Messer kann der Unglückliche während des Fallens weit fortgeschleudert haben. Ich spreche vielleicht wie ein Kind, aber mir scheint’s, als ob Smith seinem Dasein mit eigener Hand ein Ziel gesetzt habe.«
Holmes machte den Eindruck, als ob ihm diese Theorie einleuchtete, er setzte seinen Spaziergang im Zimmer noch eine Zeit lang fort und rauchte, in Gedanken versunken, immer noch eine Zigarette nach der anderen.
»Sagen Sie mir, Herr Professor«, fragte er endlich, »was ist in jenem Schränkchen auf dem Schreibtisch?«
»Durchaus nichts, was einem Dieb begehrenswert erscheinen könnte. Privatpapiere, Briefe von meiner Frau, Diplome von Universitäten, die mir Ehrungen haben zuteilwerden lassen. Hier haben Sie den Schlüssel, Sie können sich selbst überzeugen.«
Holmes nahm den Schlüssel und betrachtete ihn einen Moment; dann gab er ihn wieder zurück.
»Nein; ich glaube kaum, dass es einen Zweck haben würde«, sagte er. »Ich will lieber ruhig hinunter in Ihren Garten gehen und mir die ganze Sache richtig überlegen. Die Theorie vom Selbstmord, die Sie anführten, hat manches für sich. Wir müssen Sie um Entschuldigung bitten, dass wir Sie so überfallen haben, Mr Coram, ich verspreche Ihnen nun, dass wir Sie vor dem Essen nicht wieder stören werden. Um zwei Uhr werden wir noch einmal wiederkommen und Ihnen Bericht erstatten, ob wir in der Zwischenzeit irgendwie weitergekommen sind.«
Holmes war auffallend zerstreut, und wir spazierten eine Weile schweigend auf dem Gartenweg auf und ab.
»Haben Sie eine Spur?«, fragte ich ihn endlich.
»Das hängt von den Zigaretten ab, die ich geraucht habe«, erwiderte er. »Es ist möglich, dass ich stark auf dem Holzweg bin. Die Zigaretten werden’s zeigen.«
»Mein lieber Holmes«, rief ich aus, »wie in aller Welt ...«
»Nun, Sie werden’s ja selbst noch sehen. Ist’s nichts, so schadet’s auch nichts. Selbstverständlich bleibt uns immer noch übrig, auf den Optiker zurückzukommen, aber wenn ich’s kann, wähle ich den kürzesten Weg. Ah, hier ist die gute Miss Marker! Wir wollen uns ein paar Minuten mit ihr unterhalten.«
Wie ich an einer anderen Stelle schon hervorgehoben habe, konnte Holmes, wenn er wollte, gegen Frauen sehr liebenswürdig sein und sich sehr rasch ihr Vertrauen erwerben. Nach kurzer Zeit hatte er sich bei der Wirtschafterin eingeschmeichelt, und plauderte mit ihr, als ob er sie schon jahrelang kennte.
»Ja, Mr Holmes. Sie haben recht. Er raucht zu furchtbar. Den ganzen Tag und zuweilen auch die ganze Nacht. Ich hab das Zimmer eines Morgens mal gesehen – na, Herr, man hätte es für ’n Londoner Nebel halten können. Der arme Mr Smith, er war auch ein Raucher, aber nicht so schlimm wie der Professor. Seine Gesundheit – nun, ich weiß nicht, ob’s gut oder nicht gut ist, das Rauchen.«
»Auf alle Fälle nimmt es den Appetit«, versetzte Holmes.
»Davon weiß ich nichts, Herr.«
»Ich vermute, dass der Professor kaum was isst?«
»Nun, ’s ist verschieden bei ihm.«
»Ich möchte wetten, dass er heute Morgen kein Frühstück gegessen hat, und, nach all’ den Zigaretten, die ich ihn schon wieder habe rauchen sehen, auch das Mittagessen stehen lassen wird.«
»Damit haben Sie aber zufällig daneben gehauen, denn er hat ein auffallend großes Frühstück verzehrt, und auch wieder eine tüchtige Portion Kotelettes zu Mittag bestellt. Ich wundere mich selbst, denn als ich gestern den jungen Mr Smith auf dem Boden liegen sah, konnte ich Essen nicht sehen. Nun, ’s gibt allerlei Menschen auf der Welt, und dem Professor hat die Sache den Appetit nicht genommen.«
Wir schlenderten den ganzen Vormittag im Garten umher. Hopkins war ins Dorf hinuntergegangen, um das Gerücht von einem fremden Weib, das am vorhergehenden Morgen von Kindern auf der Chathamer Chaussee gesehen worden wäre, weiter zu verfolgen. Was meinen Freund anbetraf, so schien ihn seine gewohnte Tatkraft verlassen zu haben. Ich hatte ihn noch nie einen Fall so wenig energisch behandeln sehen. Selbst die Nachricht von Hopkins, dass er die Kinder gesprochen habe, und dass dieselben sich ganz genau darauf besinnen könnten, eine Frau, wie sie
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