Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
Vom Netzwerk:
Ebenso wenig entdeckte ich irgendein Anzeichen, woraus ich auf den Charakter oder die Absichten des Mannes hätte schließen können, der sich eine so ungewöhnliche Wohnung ausgesucht hatte. Nur so viel ergab sich klar und deutlich, dass er ein Mann von spartanischen Lebensgewohnheiten sein musste und dass er sich aus den Bequemlichkeiten der Häuslichkeit wenig machte. Wenn ich an die schweren Regengüsse der letzten Zeit dachte und mir die klaffenden Lücken der Bedachung ansah, konnte ich mich der Überzeugung nicht verschließen, dass nur eine starke und unerschütterliche Willenskraft ihn befähigen konnte, an einem so unwirtlichen Platz zu bleiben. War er unser erbitterter Feind oder etwa unser Schutzengel? Ich nahm mir fest vor, die Hütte nicht eher zu verlassen, als bis ich mir darüber Klarheit verschafft hätte.
    Draußen ging jetzt gerade die Sonne unter, und über den westlichen Himmel ergoss sich eine Glut von Rot und Gold. Ihr Widerschein lag in rötlichen Flecken auf den Wasserlachen im fernen großen Grimpener Sumpf. Ich sah die beiden Türme von Baskerville Hall, und eine undeutliche Rauchsäule zeigte mir den Ort an, wo das Dorf Grimpen lag. Zwischen diesen beiden Punkten, hinter dem Hügel, sah ich das Stapletonsche Haus. So sanft und friedlich lag das alles da in der goldenen Abendsonne, und doch, als mein Blick darüber hinschweifte, da fühlte meine Seele nichts von dem Frieden der Natur, sondern sie erbebte nur in einem unbestimmten Grauen vor dem Zusammentreffen, welchem jede Minute mich näher brachte. Aufgeregt, aber fest entschlossen, saß ich im finsteren Versteck der Hütte und erwartete mit düsterer Geduld die Heimkehr ihres Bewohners.
    Endlich hörte ich ihn. Ein scharfes Klappen von einem Stiefel, der fest auf den Felsgrund auftrat. Und noch ein Klappen und wieder und wieder eins, näher und immer näher. Ich zog mich ganz in die dunkelste Ecke zurück und spannte den Revolver in meiner Tasche, fest entschlossen, meine Anwesenheit nicht eher zu verraten, als bis es mir gelungen wäre, einen Blick auf den Fremden zu werfen. Dann kam eine lange Pause; ich hörte nichts mehr – offenbar war er stehen geblieben. Dann kamen wieder die Fußtritte näher, und ein Schatten fiel quer über die Türöffnung.
    »’s ist ein schöner Abend, mein lieber Watson«, sagte eine wohlbekannte Stimme. »Ich glaube wirklich, Sie sitzen hier draußen angenehmer als drinnen.«
Z WÖLFTES K APITEL
    Ein paar Augenblicke saß ich bewegungslos da; mir stockte der Atem, kaum wollte ich meinen Ohren trauen. Dann auf einmal hatte ich das Gefühl, als ob eine erdrückende Last von Verantwortlichkeit mir plötzlich von der Seele genommen würde. Diese kalte, schneidende, ironische Stimme konnte auf der ganzen Welt nur einem einzigen Mann angehören. Und ich rief:
    »Holmes! ... Holmes!«
    »Kommen Sie heraus«, sagte er, »und seien Sie vorsichtig mit dem Revolver.«
    Ich bückte mich und kroch unter dem roh behauenen Steinblock durch, der quer über der Türöffnung lag. Richtig, da saß Holmes draußen auf einem Stein, und seine grauen Augen tanzten vor Vergnügen, als sein Blick auf mein erstauntes Gesicht fiel. Er war mager und abgezehrt, dabei aber frisch und gesund, sein scharf geschnittenes Gesicht war von Sonne und Wind gebräunt. Seiner Kleidung nach sah er aus wie ein gewöhnlicher Tourist, der das Moor besucht, und mit seiner katzenmäßigen Vorliebe für persönliche Sauberkeit hatte er es fertig gebracht, dass sein Kinn so glatt und seine Wäsche so sauber waren, wie wenn er in seiner Wohnung in der Baker Street gewesen wäre.
    »Nie in meinem Leben habe ich beim Anblick eines Menschen eine solche Freude empfunden!«, rief ich, als ich ihm die Hand schüttelte.
    »Und noch nie solches Erstaunen, nicht wahr?«
    »Ja, das muss ich freilich zugeben.«
    »Die Überraschung war durchaus nicht einseitig, das kann ich Ihnen versichern. Ich hatte keine Ahnung davon, dass Sie meinen derzeitigen Schlupfwinkel herausgefunden hätten und noch viel weniger, dass Sie in eigener Person darin säßen, als bis ich zwanzig Schritte von meiner Tür entfernt war.«
    »Sie bemerkten wahrscheinlich meine Fußspur?«
    »Nein, Watson, so weit geht denn doch meine Beobachtungsgabe nicht, dass ich Ihre Fußspur unter allen Fußspuren der ganzen Welt herausfinden könnte. Wenn Sie im Ernst wünschten, mich in eine Falle zu locken, müssen Sie sich einen anderen Tabaklieferanten anschaffen; denn wenn ich einen

Weitere Kostenlose Bücher