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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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sie üble Verwünschungen ausstießen.
    Mein Kniff war uralt, denn er stammte aus dem Tierreich. Das Zeigen der Zähne und Klauen, verbunden mit aggressivem Knurren und direktem Blickkontakt, signalisierte dreierlei. Erstens: Ich habe keine Angst vor euch. Zweitens: Ich bineuch körperlich weit überlegen. Drittens: Deshalb solltet ihr besser Fersengeld geben, sofern euch euer Leben lieb ist.
    Plötzlich tippte mir jemand von hinten auf die Schulter. Ich fuhr herum und fuchtelte mit meinem Knotenstock. Im nächsten Moment klappte mir vor Verblüffung der Unterkiefer herunter: Vor mir stand ein hoher Offizier aus dem fernen Zarenreich. Der Russe trug eine ordenbehangene, olivgrüne Uniform nebst einem passenden pelzbesetzten Umhang, blank gewichste Stiefel sowie eine hohe Mütze mit Lackschild. Er war von schlanker, großer Statur und unbestimmten Alters. Sein schmales Gesicht wurde von einem buschigen, schwarzen Schnurrbart dominiert. Die Augen waren hinter einer runden, dunklen Brille verborgen. Er schien völlig betrunken zu sein, denn er schwankte bedrohlich und lallte mit schwerem russischen Akzent: »Komm Brriederchen, trrinken wirr eins.« Dazu streckte er mir eine halb leere Flasche mit einer klaren Flüssigkeit entgegen. Es schien sich um Wodka zu handeln.
    Ich wich mit einer instinktiven Abwehrbewegung zurück. Der Sinn stand mir zwar nach allem Möglichen, aber keinesfalls nach einem Saufgelage mit einem Russen.
    »Du kannst ruhig einen Schluck nehmen. Es wird dich erquicken. Es handelt sich um reines Quellwasser«, sagte Holmes zu mir und nahm seine Brille ab.
    Nun erst erkannte ich ihn. »Potzblitz«, fluchte ich. »Eine auffälligere Verkleidung hättest du wohl nicht finden können.«
    »Ich halte mich an die Maxime von Edgar Allan Poe: Eine Sache versteckt man am besten dort, wo sie jeder sehen kann. [ 5 ] « Mein Freund lachte. Dann setzte er fort: »Nein, ganz im Ernst. Ich war bei einem Trödler und habe nach einer passenden Kostümierung gesucht. Was mir zusagte, war entwederzu groß oder zu klein. Lediglich der Uniformrock passte wie angegossen. Außerdem hat er den großen Vorteil, dass ich gut sichtbar eine Schusswaffe tragen kann.« Dabei klopfte er auf ein braunes Pistolenfutteral an seinem Koppel. »Ich habe nämlich eine passende Dachwohnung gefunden. Sie liegt direkt gegenüber der Ray-Morti-Villa. Da konnte ich keinesfalls mit einem Deerstalker auf dem Kopf und mit einer Meerschaumpfeife im Mund aufkreuzen. Die Bleibe ist ideal. Ihr größter Vorteil besteht darin, dass ich ganz weit oben ein Cassegrainisches Spiegelteleskop aufbauen kann. Auf diese Weise habe ich einen direkten Einblick in alle zur Straße gehenden Räume der Villa, jedenfalls solange die Vorhänge nicht zugezogen sind. Aber es gibt nichts Gutes ohne etwas Schlechtes. Der Nachteil meines Kostüms hat sich im Gespräch mit dem Vermieter offenbart. Er steckt voller Vorurteile und glaubt, alle Russen würden die Gläser an die Wand werfen und das Mobiliar zertrümmern. Deshalb hat er den Mietpreis sofort auf umgerechnet dreißig Shilling die Woche verdoppelt. Überdies forderte er einen kompletten Sieben-Tages-Zins im Voraus als Sicherheit für eventuelle Vermögensschäden. Trotzdem kommen wir damit allemal billiger als in jedem anständigen Hotel. Viel länger als eine Woche werden wir ohnehin nicht bleiben. Jetzt zu unseren weiteren Plänen: Zuerst besuchen wir den leitenden Kriminalbeamten im Königlichen Polizeigebäude. Anschließend holen wir unser Gepäck vom Bahnhof.«
    Ich seufzte und erwiderte: »Nun dann.«
    »Alter Knabe, das ist ein Oxymoron.«
    »Ein was, bitte?«
    »Ein Oxymoron. Bei diesem Begriff handelt es sich um eine Wortzusammensetzung aus dem Griechischen, die
scharfsinnig
(oxys) und
dumm
(moros) bedeutet. Wissenschaftlich ausgedrücktwird eine rhetorische Phrase dann als Oxymoron bezeichnet, wenn diese Formulierung aus zwei gegensätzlichen, einander widersprechenden Begriffen besteht. Du sagtest eben ›nun‹, was so viel wie ›jetzt‹ heißt, und fügtest anschließend das Wort ›dann‹ im Sinne von ›später‹ an. ›Jetzt später‹ ist ebenso ein Oxymoron wie beispielsweise Hassliebe, stummer Schrei, beredtes Schweigen oder geschäftiger Müßiggang.«
    »Na prima«, entgegnete ich. »Wir schweben in höchster Gefahr, und du kommst mir mit solchen Albernheiten. Außerdem bist du selbst ein Oxymoron auf zwei Beinen. Gerade eben hast du nämlich ›alter Knabe‹ zu mir gesagt.«
    Wir begann

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