Sherlock Holmes und das Druidengrab
Witwe von der anderen Seite her zu stützen, zog sich nach einem kurzen Flüstern von Bethany aber zurück. Zögernd folgte sie den zwei Frauen hinauf.
Holmes nickte. „Kehren Sie bitte am besten alle zu Ihren ursprünglichen Beschäftigungen zurück. Ich melde mich in Kürze bei Ihnen.“
Bedächtig kamen die Hausbewohner der Aufforderung nach. Insbesondere Cedric Whedon musterte uns lange mit seiner zweifelnden Miene, bevor er sich in das Nebenzimmer zurückzog. War dies ein erster Hinweis auf unseren Verdächtigen? Zufrieden nahm ich zur Kenntnis, dass es auch Holmes nicht entgangen war.
Der Diener führte uns zu einer Tür am anderen Ende der Eingangshalle und präsentierte dahinter eine überaus ansehnliche Privatbibliothek. Zwar war der Raum nur etwa halb so groß wie die Halle davor, enthielt in seinen unzähligen prall gefüllten Regalen aber zweifellos das Wissen mehrerer Jahrhunderte. Etliche Werke wirkten bereits auf den ersten Blick sehr alt und wertvoll. Brody blieb direkt vor einem glatt polierten Mahagoni-Tisch in der Zimmermitte stehen. Die links und rechts davon befindlichen Sessel machten einen überaus bequemen Eindruck. Nach einem lodernden Kamin, an dem ich mir die Hände hätte wärmen können, suchte ich allerdings vergeblich. Mir fiel auf, wie still es im Haus war. Aber nach der nicht lang zurückliegenden Tragödie war dies wenig verwunderlich. Betrübt schaute ich zu Brody.
„Hier saß Sir Leonard an vielen Abenden, rauchte eine Zigarre und trank seinen Tee. Gelegentlich leisteten ihm seine Brüder Gesellschaft, aber nicht selten war er allein, um sich in eines der Bücher zu vertiefen oder über das Leben nachzugrübeln.“
„Wer hat ihm den Tee an diesem Abend serviert?“
„Das war ich, Sir. Es war ein normaler Earl Grey, den die Familie auch Tags darauf ohne Auffälligkeiten getrunken hat. Bis sich herausstellte, dass vermutlich das Getränk der Auslöser für die Vergiftung war. Seither hat ihn aus verständlichen Gründen niemand mehr angerührt.“
„Gab es irgendwelche abendlichen Rituale?“, fragte Holmes, während er die Oberseite des Tisches inspizierte. „Bekam er zum Beispiel immer dieselben Teesorte?“
„Nein, in dieser Hinsicht war Sir Leonard recht aufgeschlossen. Er probierte gern neue Mischungen und variierte öfters zwischen Sahne, Zucker und Zitrone. Das hatte er mit seinen Brüdern gemein, die ebenfalls gern und oft Tee trinken. Liegt offenbar in der Familie.“
„Wusste er, dass Sie ihm an diesem Abend Earl Grey aufgesetzt hatten?“
„Ich glaube, nicht. Wie üblich habe ich ihm das Kännchen und die Tasse einfach auf den Tisch bereitgestellt und bin wieder gegangen.“
„Haben Sie mitbekommen, ob Sir Leonard an diesem Abend allein in der Bibliothek war?“
„Leider, nein, Sir.“
„Etwas Ungewöhnliches gibt es über den Abend vermutlich auch nicht zu berichten?“
Brody schüttelte den Kopf. „Merkwürdig wurde es erst, als Sir Leonard die ersten Symptome verspürte. Ich sah, wie er stöhnend durch die Eingangshalle und die Treppen hinaufeilte. Außer ihm hielt sich niemand in der Bibliothek auf. Nachdem Sir Leonard nicht zurückkehrte, räumte ich den kalten Tee ab und reinigte Tasse und Kännchen. Wie gesagt, ich war mir absolut keiner Schuld bewusst.“
Holmes nickte, nur ich war mir nicht sicher, ob ich dem Diener glaubte. Er befand sich auf jeden Fall in der idealen Position, das vergiftete Getränk zu verabreichen und anschließend die Spuren zu beseitigen.
„Wenn Sie mich bitte kurz entschuldigen“, sagte Brody und schielte unruhig zur Hintertür. „In der Küche gibt es eine Arbeit, die keinen Aufschub duldet. Aber ich bin sofort wieder für Sie da.“ Noch während er sprach, eilte er hinaus. Holmes und ich sahen ihm wortlos hinterher. Ich konnte es kaum erwarten, dass wir allein waren. „Was um Himmels willen wird hier gespielt?“ Absichtlich flüsterte ich, um zu verhindern, dass uns jemand von der Tür aus belauschen konnte. „Erst heißt es versuchter Mord , jetzt ist es ein richtiger Mord. Will uns hier jemand auf den Arm nehmen?“
„Entweder das oder der Fall ist verworrener als angenommen. Möglicherweise hat sich ein Verwandter oder Freund der Familie als Leonard Whedon ausgegeben, weil er wollte, dass dieser Fall möglichst schnell aufgeklärt wird. Aber lassen Sie uns unvoreingenommen an die Sache herangehen und alles genauso überprüfen, als wäre es eine gewöhnliche Ermittlung. Sie wissen ja, nichts
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