Sherlock Holmes und das Druidengrab
sah auf, als ob da etwas wäre und machte ein erschrockenes Gesicht. Nein, nicht erschrocken. Er war richtiggehend entsetzt. Er schnappte nach Luft, griff sich mit beiden Händen an die Kehle und fiel in den Schacht.“
„Aber außer Ihnen beiden war niemand da.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Holmes wandte sich wieder der Leiche zu.
Inzwischen war jemand mit einer Flasche und einem Glas zu Sir Arthur getreten. Der nahm den angebotenen Brandy dankbar entgegen und leerte das Glas in einem Zug. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Er hatte Scheußliches mitansehen müssen.
Holmes nahm derweil den Toten und dessen Umgebung genau in Augenschein. Schließlich gestattete er, dass man die sterblichen Überreste von Mr Harriet aus dem Lift holte und auf den Boden legte.
Holmes winkte mich heran und wies auf den Hals des Unglücklichen.
Ich sah genauer hin. „Holmes! Da sind ja Würgemale!“
„Elementar, mein lieber Watson.“ Holmes drehte den Kopf des Toten so, dass das Licht, des großen Kronleuchters, der in der Mitte des Raumes von der Decke hing, besser auf den Hals fiel. „Und können Sie mir auch sagen, von wem die Male stammen?“
„Aber Holmes, wie sollte ich ...“ Ich stutzte. „Moment, sie sind alle ziemlich klein. Es müssen sehr magere Finger gewesen sein. Die Male sind schwarz verfärbt. Das ist ungewöhnlich. Was kann das bloß bedeuten?“
„Ja, was?“ Holmes verzog den Mund. „Außerdem war niemand anwesend, der den jungen Mann gewürgt haben könnte.“
Ich warf einen schnellen Blick zu Arthur Bambidge. Er war hager, aber auf eine Weise, die Zähigkeit und körperliche Betätigung verraten. Als er das Glas mit einem zweiten Brandy hob, konnte ich einen Blick auf seine Hände werfen. Sie waren groß mit breiten, kräftigen Fingern. Völlig unmöglich, dass sie so seltsame Abdrücke hinterlassen hätten.
„Wir können Bambidge als Täter ausschließen“, erklärte Holmes, der meine Gedanken erraten hatte. „Wenn aber noch jemand anwesend gewesen wäre, hätte er ihn sehen müssen.“
Ich untersuchte den Toten inzwischen genauer. Die Würgemale waren deutlich zu sehen. Jedoch waren sie nicht die Ursache für den Tod gewesen. Harriet hatte sich vielmehr das Genick gebrochen, als er auf das Dach der Gondel stürzte.
Als ich meine Feststellung Holmes mitteilte, machte er eine zustimmende Kopfbewegung.
„Kommen Sie, Watson“, forderte er mich auf. „Wir wollen uns ein wenig im Büro dieses Harriet umsehen. Ich denke, das könnte aufschlussreich sein.“
„Wollen Sie nicht lieber auf die Polizei warten?“, schlug Bambidge vor, als sich Holmes mit seiner Bitte an ihn wandte. „Sie müsste jeden Moment hier sein.“
„Natürlich nicht“, antwortete mein Freund jedoch. „Ich möchte den Raum sehen, bevor alle Spuren und Beweise von Polizisten niedergetrampelt wurden.“
Sir Arthur schien Bedenken zu haben, gab aber nach. Er habe einen Zweitschlüssel zu dem Büro seines Assistenten, erklärte er und ging uns voran zur anderen Seite des Vorraums und in den Gang, aus dem wir von der Treppe her gekommen waren. Ein Stück dahinter befand sich das gesuchte Zimmer. Bambidge öffnete die Tür und ließ uns eintreten.
Vor uns breitete sich ein fürchterliches Chaos aus. Bücher und Papier lagen wild durcheinander, Schubladen waren herausgerissen und ihr Inhalt auf dem Fußboden verstreut worden, Möbel waren umgestoßen, Keramik zerbrochen worden. Einige Bücher lagen regelrecht zerfetzt am Boden. Das Polster eines Sessels war aufgeschlitzt. Bilder waren von den Wänden gerissen und zertrümmert worden.
„Mein Gott, Holmes“, stieß ich hervor. „Entweder hat hier ein fürchterlicher Kampf stattgefunden, oder ein Einbrecher ging gründlich zu Werke.“
„Es wurde etwas gesucht, das ist offensichtlich“, stimmte Holmes mir zu. „Und der Eindringling wurde offenbar nicht fündig.“
„Woher wollen Sie das bei diesem Chaos wissen? Man kann unmöglich beurteilen, ob etwas fehlt.“ Sir Arthur Bambidge war hinter uns hereingekommen.
„Deduktion“, erklärte mein Freund ihm. „Sehen Sie, es wurden nicht nur Schubladen durchwühlt und mögliche Verstecke gesucht. Vielmehr gab es einen Ausbruch sinnloser Gewalt, die alles zerstörte, was dem Unbekannten in die Hände fiel. Er hatte keinen Grund, Bücher auseinanderzureißen oder Bilder zu zerschlagen. Es muss eine ungeheure Enttäuschung gewesen sein, die da zum Ausbruch kam. Enttäuschung darüber, dass er nicht
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