Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
Vom Netzwerk:
›Sie ist nicht sie selbst heute abend.‹ Ich wartete, bis die Frau gegangen war. Ich wollte gerade an die Tür klopfen, als ich Stimmen hörte!«
    »Ihre Stimme?«
    »Ja, aber auch die eines Mannes! ›Christine, Sie müssen mich lieben‹, sagte die Stimme. Sie konnte kaum sprechen vor Tränen, als sie erwiderte: ›Wie können Sie so reden, wenn ich doch nur für Sie singe? ‹« Der junge Vicomte griff sich bei der Erinnerung daran ans Herz. »Ich dachte, ich würde auf der Stelle meinen Geist aushauchen, aber es kam noch mehr. ›Sind Sie sehr müde?‹ wollte die Stimme wissen. ›Oh, heute nacht habe ich Ihnen meine Seele gegeben, und jetzt bin ich tot!‹ erklärte sie ihm. ›Ihre Seele ist wunderschön, Kind‹, sagte die Stimme voll unendlicher Zärtlichkeit. ›Und ich danke Ihnen. Kein Kaiser hat je ein solches Geschenk erhalten. Heute abend haben die Engel geweint.‹«
    »Können Sie die Stimme beschreiben, die Sie gehört haben? Die Männerstimme?«
    »Oh, Monsieur, es war die schönste Stimme, die ich je gehört habe, ausgenommen ihre, natürlich, so voller Süße und Sehnsucht! ›Heute abend haben die Engel geweint‹!«
    Heiße Tränen strömten nun über das Gesicht des Vicomtes, während er in sein leeres Glas hineinstarrte und sich die furchtbaren Worte noch einmal ins Gedächtnis rief.
    »Was haben Sie als Nächstes getan?« drängte ich ihn sanft.
    »Ich wartete darauf, daß er hinauskam, das habe ich getan«, sagte er trotzig, wobei er mich verschwommen ansah, als wollte er mich herausfordern, ihn zu tadeln. »Ich war entschlossen, meinen Rivalen zu stellen und ihm eine Tracht Prügel zu verabreichen oder ihn zum Duell zu fordern«, fügte er mit einer Spur Unsicherheit hinzu.
    »Aber er kam nicht hinaus, das ist ja das Seltsame daran, Monsieur! Die Tür öffnete sich nach einiger Zeit, und Christine trat hinaus, mit ihrem Mantel bekleidet, und vollkommen allein. Ich hatte mich mittlerweile versteckt, und sie sah mich nicht, sondern lief durch den Korridor. Als sie verschwunden war, stürmte ich in ihren Ankleideraum. Sie hatte das Gas abgedreht, und ich fand mich in völliger Dunkelheit wieder. ›Ich weiß, daß Sie hier sind!‹ rief ich, warf mich gegen die Tür und lehnte mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen. ›Und Sie werden dieses Zimmer nicht verlassen, bevor Sie sich mir offenbart haben!‹ Aber das einzige Geräusch, das ich vernahm, war das Schlagen meines eigenen Herzens, das Keuchen meines eigenen Atems. Ich suchte hastig nach dem Schlüssel, schloß die Tür hinter mir und zündete das Gas wieder an. Und so, wie ich jetzt vor Ihnen sitze, Monsieur, so habe ich gesehen, daß das Zimmer vollkommen leer war. Ich habe daraufhin fast den Verstand verloren und habe überall nach ihm gesucht; ich habe den Schrank aufgerissen, die Kleider durchwühlt, hinter den Diwan gesehen – alles sinnlos. Er hatte sich in Luft aufgelöst. Das einzige, was ich hören konnte, während ich zitternd dort stand, war das entfernte Geräusch von Musik.«
    »Musik? Aber die Vorstellung war doch gewiß vorbei.«
    »Die Musik kam nicht aus der Opéra.« Er machte eine ungeduldige Handbewegung.
    »Woher dann?«
    »Von …« Er zuckte verzweifelt mit den Schultern. »Wer weiß schon, woher? Einfach aus der Luft!«
    »Was für eine Art Musik? Gesang?«
    »Ja, Gesang, eine Männerstimme, aber auch …« – Er sah mich an, als suche er bei mir Bestätigung für seine Worte – »Eine Orgel?«
    »Aus der Nähe? Oder weiter weg?«
    »Sehr weit weg und wunderschön; die Musik gab meinen innersten Gefühlen Ausdruck, dem Schlagen meines Herzens selbst!«
    Dieses Geständnis hatte ihn entkräftet, aber er war noch immer nicht fertig. Er hob seinen Blick dem meinen entgegen und schüttelte den Kopf.
    »Dann kam das Furchtbare. Ich war mittlerweile vollkommen außer Fassung und folgte Christine nach Hause. Dort habe ich so lange an die Tür gehämmert, bis sie mir öffnete. Ich habe ihr ihren Verrat ins Gesicht geschrien, ihr gesagt, daß ich alles gehört hätte, und von ihr verlangt, daß sie mir den Namen meines Rivalen nannte. Daraufhin wurde sie totenbleich, Monsieur. Beinahe wäre sie mir ohnmächtig in die Arme gesunken, aber dann wurde sie plötzlich furchtbar wütend. Ich hätte nicht gedacht, daß sie so wütend sein kann«, erinnerte er sich kopfschüttelnd. »Sie, so gut, so rein.« Er hielt inne, als müsse er erst alle Kraft zusammennehmen, um seinen Bericht beenden zu können. »Es gab eine

Weitere Kostenlose Bücher