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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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auszuschmücken, mein lieber Freund, möchte ich nur auf die Handlungen zahlloser Opern hinweisen, die meine These bestätigen. Die Fledermaus von Strauss dem Jüngeren ist der Inbegriff der Genußsucht auf einem Maskenball. In dieser Operette versucht ein respektabler verheirateter Mann unwissentlich seine eigene Frau zu verführen, da beide inkognito sind – sie, verkleidet als Sängerin, eine regelrechte Einladung zu einem skandalösen Verhalten. Mozarts Figaro und sein Don Giovanni machen von einer ähnlichen Einrichtung Gebrauch, wenn auch zu erhabeneren Zwecken. Bei Verdi sind Masken und ihre Konsequenzen ein beinahe kontinuierliches Thema.
    Der Opernball war in drei Teile geteilt (wie Gallien, höre ich Sie sagen, Watson!). Der erste Teil fand im Hauptfoyer und auf der riesigen Vordertreppe statt. Es wurde getrunken, man mischte sich unters Volk und tanzte. Anschließend kam das zweite Ereignis, die Operngala, bei der die Feiernden zum Publikum wurden und sich im Theater versammelten, um einzelne Musikstücke zu hören, die von den gefeiertesten Künstlern der Zeit dargeboten wurden. Anschließend begaben sich alle wieder in das Foyer, das während der Vorführung mit Tischen für ein gewaltiges Mitternachtsmahl ausgerüstet worden war.
    Die Einladungen zu diesem Ereignis gehörten zu den begehrtesten überhaupt in Paris, ja sogar in ganz Frankreich, denn Paare und einzelne Individuen, die das Glück oder die Macht besaßen, eine solche begehrte Karte mit der beinahe unentzifferbaren Kalligraphie zu bekommen – (alles Leute, die nicht im Traum daran dachten, irgendeine Oper zu besuchen!) –, kamen von den Provinzen herbeigeströmt, eigens für diese Gelegenheit aufs eleganteste herausgeputzt. Sie stiegen in den besten Hotels ab und schlüpften dort in ihre Kostüme und vertauschten das Fasanenschießen gegen eine andere Art von Jagdgesellschaft.
    Als Mitglied des Orchesters bekam ich automatisch eine Einladung. Ich beschränkte meine Verkleidung auf einen Abendanzug und einen schwarzen Domino. Ich war nicht allein in meiner Wahl. Viele Männer verspürten nicht den Wunsch, sich mit komplizierten und unvertrauten Kleidungsstücken zu belasten. Eine einfache Maske reichte für ihre Zwecke; warum sollten sie sich mit zusätzlichem Beiwerk abmühen? Meine Neigung bezüglich meines Kostüms unterlag jedoch nicht ausschließlich meinen Vorlieben. Den Mitgliedern des Ensembles, das später zu spielen hatte, hatte Maître Leroux strikte Anweisungen gegeben, was Verkleidungen anbetraf.
    Wir waren jedoch in der Minderheit. Die Mehrheit der Gäste erschien in allen möglichen Kostümen. Ich sah Harlekins und Colombinen, Marie Antoinettes (mit vollgetakelten Segelschiffen in ihren Frisuren) und wenigstens sechs Napoleons, drei Jeanne d’Arcs (von denen eine an einen Pfahl, den sie auf dem Rücken trug, festgebunden war), mehrere Pierrots, einen Kardinal Richelieu, einen Henri de Navaare, zwei Sonnenkönige, Aztekenkrieger, griechische Jungfrauen, römische Senatoren und sogar Mitglieder des Tierreichs – einen Löwen, einen Geier (mit enormer Flügelspannweite), selbst einen Vogel Greif, ganz zu schweigen von Affen, Pferden und Kühen (die zwei Paar Beine benötigten, um sie zu bemannen). Daneben gab es Riesen auf Stelzen (die glücklich dran waren, weil sie über die Köpfe der anderen hinwegsehen konnten) und Zwerge und Trolle, die auf ihren Knien gingen und sich dafür verfluchten, nicht die Konsequenz ihres genialen Einfalls vorhergesehen zu haben, nämlich in einem Wald von Beinen lebendig begraben zu werden.
    Kühnere Teilnehmer erschienen als Adam und Eva oder Lady Godiva, wobei lange, dicke Zöpfe und große Feigenblätter für geziemenden Anstand sorgten, wo das notwendig war (im Falle von Adam und Eva deuteten die Feigenblätter darauf hin, daß man den Sündenfall bereits hinter sich hatte). Ich bestaunte das sang-froid der Garde Républicaine, die sich alle Mühe gab, diesen ausschweifenden Versuchungen mit unbeweglicher Miene zuzusehen, während die brodelnde Masse sie hin und her schubste.
    Einige der Gäste des Balles erkannte ich trotz (oder vielleicht auch gerade wegen) ihrer Kostüme. Moncharmin und Richard waren als verrückter Hutmacher beziehungsweise als Märzhase verkleidet, und das, wie ich argwöhnte, ohne jede Spur von Ironie. Das corps de ballet , einschließlich der spitzbübischen kleinen Jammes und ihrer Rivalin Meg Giry, war wie erwartet in Ballettröcken gekommen, um die

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