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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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unterzugehen.
    De Chagny, der den Arm um meinen Hals geschlungen hatte, rief mir ins Ohr: »Dieses Geräusch habe ich doch schon einmal gehört!«
    Damit sprach er genau das aus, was auch ich dachte. Das Geräusch und das Zittern brachten uns fast zum Wahnsinn, aber noch schlimmer war das Gefühl, daß ich eigentlich hätte wissen sollen, worum es sich handelte. César wieherte bei jeder Erschütterung vor Entsetzen auf.
    Dann hörte das Hämmern, wie es das so oft tat, plötzlich auf und badete uns in Stille, die nur von der Musik durchbrochen wurde, die aus der Ferne zu uns herüberdrang.
    Auf den Beinen fühlte sich der kleine Vicomte, nachdem er sich einige Augenblicke lang auf mir abgestützt hatte, weitaus besser als auf dem Boden. Während mehr Luft in seine Lungen drang, sammelte er neue Kraft, und wir taumelten in die Richtung der atemberaubend schönen Melodie, die nun direkt vor uns erklang.
    Auf dieser Seite des Sees hielt eine doppelte Wand, in deren Zwischenraum sich Erde befand, die Wassermassen zurück. Während wir der Biegung des Damms in Richtung auf die Musik folgten, stießen wir auf das Haus des Phantoms, denn es war tatsächlich ein Haus, erbaut zwischen den inneren und äußeren Wänden, die den See umgaben. Es gab hellerleuchtete Fenster mit richtigen Vorhängen; das ganze Gebäude sah aus wie ein Miniaturpalast auf dem Canale Grande. Auf der anderen Seite der Fenster sah man die Sänger, die noch immer in ihr stürmisches Duett vertieft waren. Man konnte die Silhouette des Organisten erkennen und Mademoiselle Daaés Gestalt, die neben ihm stand. Dieser Anblick verschlug dem Vicomte schier die Sprache, und er hätte vielleicht etwas Unbesonnenes getan, aber ich drängte ihn weiter.
    Während wir uns an der Wand entlang bewegten, kamen wir zu einem weiteren Gebäude, dieses ohne jegliche Befensterung.
    »Vielleicht gibt es oben eine Öffnung«, sagte ich aufs Geratewohl. »Soll ich Ihnen hinaufhelfen?«
    »Geben Sie mir zuerst Ihre Streichhölzer.«
    Ich bückte mich und verschlang meine Finger ineinander. Mit einiger Anstrengung kletterte er über meinen Rücken hinauf auf die Mauer und untersuchte sie. In unberechenbaren Abständen setzte wieder der Lärm und das Zittern ein. Das Getöse war zu groß, als daß ich hätte hören können, wie ein Streichholz entzündet wurde, aber ich sah das kurze Aufflackern von Schwefel, bevor der Vicomte wieder über mir erschien.
    »Kommen Sie hinauf. Es gibt eine Art Oberlicht hier, das von unten beleuchtet wird.«
    Das war bei weitem leichter gesagt als getan, denn ich hatte niemanden, der mir half, und der Vicomte war zu schwach, um mich hinaufzuziehen.
    »Warten Sie hier«, wies er mich an und kam nach kurzer Zeit völlig außer Atem zurück. »Nehmen Sie das da.«
    Er rollte ein Seil auf, das er an einem Ende irgendwo da oben festgebunden hatte. Das andere Ende reichte bis zu meinem Kopf hinunter, und ich griff danach. Nach ein paar Augenblicken der Prüfung im Dunkeln, in denen ich meine Finger darüber hatte gleiten lassen, war ich sicher, daß das Seil mich halten würde. Ich konnte genau fühlen, an welcher Stelle es von einer rasiermesserscharfen Klinge durchtrennt worden war. Mit Hilfe der Mordwaffe, die Joseph Buquet das Leben gekostet hatte, konnte ich mich neben den Vicomte hochhieven, der mich zu einem oberlichtartigen Fenster führte; es hatte eigentlich mehr Ähnlichkeit mit dem Bullauge eines Schiffs: ein merkwürdig dickes Glasoval, umrundet von einem Messingrahmen an einem Scharnier.
    »Ob wir da hindurchpassen?« fragte der junge Mann zweifelnd.
    »Es ist offen«, stellte ich fest. »Wir haben kaum eine andere Wahl, als es zu versuchen.«
    Die Öffnung war tatsächlich sehr schmal, aber ich war in der Lage, mit hindurchzuzwängen, und zog den Vicomte hinter mir her.
    »Was bin ich doch für ein Narr«, murmelte ich, als wir gelandet waren.
    »Wie meinen Sie das?«
    Ich zeigte auf die Decke und das kleine Fenster, das nun außerhalb unserer Reichweite war. In meinem Eifer, in Orpheus’ Festung einzudringen, hatte ich das Seil, das uns nun hätte nützlich sein können, gedankenlos zurückgelassen.
    Der Raum, in dem wir uns wiederfanden, wurde wie der See von verborgenen Gasdüsen beleuchtet. Er war sechseckig und vom Fußboden bis zur Decke mit Spiegeln versehen. Er enthielt nur ein einziges Zierstück: einen gewaltigen, schmiedeeisernen Baum, dessen von den Spiegeln reflektierte Zweige einen Wald an Illusionen um uns herum erschufen.

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