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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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Das Ganze war extrem verwirrend, zweifellos genau das, was sein Schöpfer beabsichtigt hatte. Es gab keinen Eingang und keinen Ausgang, bis auf diese kleine Öffnung, durch die wir gekommen waren. Wenn wir geglaubt hatten, auf diesem Wege in das Heim des Ungeheuers eindringen zu können, schienen wir uns geirrt zu haben. Direkt unter der Decke und überall um das Sechseck herum entdeckte ich eine Reihe kleiner Löcher, deren jedes etwa die Größe eines halben Zweishillingstücks hatte.
    »Die müssen der Luftversorgung dienen«, meinte der Vicomte. Ich wollte ihm nicht widersprechen, indem ich auf das Fenster hinwies, durch das wir gekommen waren und das dafür ganz eindeutig ausgereicht hätte. Die kleinen Löcher dienten meiner Meinung nach einem finstereren Zweck und beunruhigten mich. Was das betraf, schien die ganze Kammer zu nichts anderem erbaut worden zu sein, als unbesonnene Leute, die dort hineinstolperten, gefangenzunehmen – Leute wie wir es waren. Das Ganze erinnerte mich an eine leere Milchflasche, die man vor die Tür stellt, um Fliegen zu fangen.
    »Hören Sie«, sagte ich. »Die Musik hat aufgehört.«
    Wir legten unsere Ohren an die Spiegelwand, durch die man die Musik am besten hören konnte. Ich vernahm etwas, das wie das Schließen einer Tür klang. Dann herrschte Stille.
    »Rufen Sie sie«, flüsterte ich.
    »Christine.«
    »Lauter. Durch das Getöse von draußen kann Sie sie nicht hören.«
    »Christine! Christine, ich bin es, Raoul! Können Sie mich hören?«
    Vom anderen Ende der Wand erklang ein leises Geräusch.
    »Wer ist da?«
    » Christine! «
    »Raoul? O Raoul!« Erregt preßten wir unsere Ohren an das Spiegelglas, so daß wir schließlich ihre Schluchzer hören konnten.
    »Christine, wo ist er? Wo ist er?«
    »Raoul – gehen Sie weg! Verlassen Sie diesen verfluchten Ort, so schnell Sie können! Ah! Er kommt zurück! Er ist –«
    Jetzt hörte man eine andere Stimme.
    »Was tust du da? Komm zurück. Wir müssen das Finale aus dem letzten Akt noch proben. Was? Ängstigt dich meine Erscheinung immer noch? Du hast nichts zu fürchten, bestimmt nicht. Komm her zu mir. Ich habe gesagt, komm!«
    Die Stimme war gleichzeitig flehend und drohend, als könne ihr Besitzer sich nicht entscheiden, welche Haltung er ihr gegenüber einnehmen wollte.
    Über unseren Köpfen ertönte ein neuerliches Donnern, und wieder wackelten die Wände. Ich hörte ein wütendes Fauchen auf der anderen Seite der Wand und dann die Stimme, diesmal etwas weicher.
    »Hab keine Angst. Sie können dir nichts tun. Niemand kann dir hier noch irgend etwas tun. Es war falsch von dir, daß du heute abend ohne meine Erlaubnis gesungen hast, mein Liebes, aber ich vergebe dir. Denk nur immer daran: Ich weiß, was am besten für dich und für deine Stimme ist. Und jetzt sing mit mir.«
    Seine einlullenden Kadenzen ließen mich um ein Haar die Augen schließen. Die Musik hatte wieder begonnen. Es war schwer, sie durch das Getöse hindurch zu hören, aber in den kurzen Pausen der Stille lauschten wir. Es waren Klänge von durchsichtiger Schönheit.
    »Was ist das?« flüsterte Raoul.
    »Seine Oper, Der Triumph des Don Juan .«
    Der arme Junge schluchzte vor Entsetzen und Erschöpfung auf und sank zu Boden, geschwächt von dem großen Blutverlust.
    Ich blieb mit auf das Glas geheftetem Blick stehen. Nach und nach verstummte die Musik.
    »Dies wird dein Zuhause sein«, sagte die wunderschöne Stimme sanft. »Du bist jetzt sicher müde. Ich werde dich alleine lassen. Ruh dich aus.«
    Ich konnte mir kaum vorstellen, wie sie Ruhe finden sollte, denn das entsetzliche Donnern hatte jetzt erst richtig begonnen. Es war unmöglich, bei diesem Getöse mit dem armen Mädchen zu reden, so daß wir nun ganz uns selbst überlassen waren. In dem Sechseck befand sich nichts anderes als wir und der Eisenbaum, das heißt, eigentlich war es nur der Stamm mit einem einzigen Ast, alles andere waren Spiegelbilder.
    Die Zeit verging, und der junge Vicomte verlor langsam die Nerven. Seine Zähne schlugen unkontrolliert aufeinander, und er legte in dem nutzlosen Versuch, etwas gegen den Lärm und das Zittern zu tun, die Hände über die Ohren, kauerte sich in eine Ecke und begann, sich langsam vor und zurück zu wiegen. Er war wie ein verängstigtes Tier, das leise wimmernde Geräusche von sich gab. Ich versuchte, ihn mit tröstenden Worten zu beschwichtigen, aber ich wußte, daß man ihn schon bald nicht mehr mit vernünftigen Argumenten würde

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