Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung (German Edition)
Sie könnten ihn bei seiner Arbeit an diesem Fall beraten.«
»Ich möchte nicht beraten, ich möchte selbst schreiben.«
»Moriarty schreibt, weil er einsam ist. Sie haben eine wunderbare Frau, eine gutgehende Praxis. Sie haben es nicht mehr nötig …«
»Sie meinen, ich hatte es nötig?«
»Das Schreiben half Ihnen, so schien es mir, zu sich selbst zu finden. Und das ist in hervorragender Weise gelungen. Sie waren sich in den ersten Jahren unserer Bekanntschaft Ihres Wertes nicht bewußt. Erst die schriftstellerische Tätigkeit mit ihrem ideellen und finanziellen Erfolg öffnete Ihnen die Augen.«
»Sie wollen doch nicht sagen, Holmes, daß Sie mich zum Schreiben animierten, um mich selbstbewußter zu machen?«
»Warum nicht?«
»Ach, jetzt erkenne ich Ihre Absicht, und ich bin verstimmt. Sie wollen mich ablenken. Aber das wird Ihnen dieses Mal nicht gelingen.«
»Wovon ablenken, mein lieber Doktor?«
»Sie sind doch viel zu hintertrieben, als daß Sie nicht einen weiteren Grund haben, gerade Stephen Moriarty, Dan Symmons und Myra Hall auf eine gemeinsame Reise zu schicken.«
»Man macht sich so seine Gedanken, nicht nur beruflich, sondern auch menschlich. Mr. Moriarty fristet seine Tage einsam im Hotel. Zugegeben, er geht fischen, er schreibt. Aber er ist allein.«
»Und Sie meinen, daß Miss Myra seine einsamen Tage erhellen könnte?«
»Es wäre zumindest möglich. Miss Myra hat ihren Freund verloren, nun auch ihren Vater.«
»Aber das Kind? Ihr Sohn Ashley.«
»Wir werden auf den Jungen aufpassen, solange seine Mutter unterwegs ist.«
Sherlock Holmes betrachtete erneut die Fotos aus Shakespeares Grab. Er suchte die Aufnahmen der Innenseite des Sargdeckels. Auf einem Bild, das er Watson und dem Archäologen am Vortag nicht gezeigt hatte, standen wieder die Worte BEATI MORTUI QUI IN DOMINO MORIUNTUR, ein Stück darunter war jedoch eine weitere Inschrift angebracht: THE ENIGMA OF THE WORLD. Das Rätsel der Welt. Holmes hatte diese Information zurückgehalten, weil es in seinen Plan paßte, daß Dan Symmons und Myra Hall nach Rom reisten.
THE ENIGMA OF THE WORLD war ein Hinweis auf London, auf das Grab von James I. in der Westminster Abbey.
Es dämmerte bereits, als Holmes und Watson in einem Hansom drei Meilen nördlich nach Wilmcote zu Myra Halls Haus fuhren.
»Ich bin gerade dabei, dem Jungen seine Gute-Nacht-Geschichte zu erzählen«, sagte Mrs. MacCroll, als sie die Haustüre öffnete.
»Wir wollen Sie davon keineswegs abhalten«, sagte der Detektiv. »Watson und ich leisten Ihnen Gesellschaft. Alles andere kann warten.«
Die rundliche schottische Kinderfrau begab sich mit ihren Begleitern in den ersten Stock des Hauses, in dem Ashley Halls Kinderzimmer lag.
»Hallo, Ashley«, begrüßte ihn der Detektiv. »Du hast doch nichts dagegen, wenn auch wir die Geschichte anhören.«
»Wer bist du?«, fragte der dunkelhäutige Junge, und seine schwarzen Augen leuchteten neugierig.
»Ich bin Sherlock Holmes. Ich arbeite als Detektiv.«
»Und ich bin John Watson, der Freund des Detektivs. Ich helfe ihm bei seiner Arbeit. Und ich bin Arzt.«
»Wißt ihr, wo meine Mama ist?«, fragte Ashley.
»Ja. Sie läßt dich grüßen. Ihr geht es gut, und sie wird bald wieder hier sein.«
Zufrieden lehnte sich der Junge zurück.
Mrs. MacCroll trug zwei weitere Stühle für die Gäste in den Raum, nahm Platz am Bett des Jungen und setzte ihre Geschichte fort.
»Also«, begann die Nanny etwas verlegen, »der Prinz ging durch das dichte Gestrüpp in das dunkle Tal.«
»Von Anfang an«, forderte der Junge energisch.
»Also noch einmal. Es war einmal ein schöner junger Prinz. Der hieß James und fand das Leben im Schloß seiner Mutter und seines Stiefvaters recht langweilig. Er saß stundenlang am Fenster und schaute sehnsüchtig in die Ferne.
›Nimm doch dein Pferd und reite aus‹, schlug seine Mutter vor, die insgeheim bedauerte, daß James keine Geschwister hatte, die ihm Gesellschaft leisten konnten. ›Aber‹, fügte sie streng hinzu, ›reite nicht ins Höllental! Dort ist es zu gefährlich.‹
›Höllental‹, dachte der Prinz. ›Das wird interessant‹ und eilte zu den Stallungen, in denen sein Pferd Achim stand.
›Auf ins Höllental!‹, rief er dem schwarzen Rappen zu, und dieser setzte sich in Bewegung.
Das Höllental war eine dunkle Schlucht nördlich des Schlosses. Der Eingang zu diesem tiefen, feuchten Tal war so dicht mit Gestrüpp verwachsen, daß der Prinz das Pferd an
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