Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
Vom Netzwerk:
solche Beute vor mir gehabt! Die größte Beute meiner Laufbahn, und wenn ich sie nicht fange, dann sind wir womöglich alle dem Verderben ausgeliefert!«
    »Um Himmels willen, können Sie sich nicht etwas klarer ausdrücken? Ich habe außerhalb des Haymarket noch nie soviel Melodrama gehört!«
    Holmes lehnte sich zurück und blickte ruhig um sich. »Sie brauchen gar nicht auf mich zu hören. In wenigen Minuten werden Sie alles von den Lippen des Mannes erfahren, den wir suchen – wenn er noch am Leben ist.«
    »Noch am Leben?«
    »Er ist der Krankheit zu nahe gekommen. Er muß ihr früher oder später erliegen.«
    »Der Pest?«
    Holmes nickte. »Irgendwann in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts ankerten drei Gewürzschiffe im Hafen von Genua. Außer ihrer Ladung brachten sie Ratten mit sich, die sich unter die Nagetiere der Stadt mischten. Kurz darauf gab es überall in den Straßen tote Ratten, Tausende toter Ratten. Dann begann die menschliche Bevölkerung zu sterben. Die Symptome waren einfach: Schwindel, Kopfschmerzen, Halsentzündung und dann harte schwarze Beulen unter den Armen und um die Lenden. Nach den Beulen – Schüttelfieber, Übelkeit und blutiger Auswurf. Innerhalb von drei Tagen war der Patient tot. Beulenpest. Während der nächsten fünfzig Jahre erlag ihr beinahe die Hälfte der Einwohner Europas, mit einer Sterberate von neunzig Prozent aller Infizierten. Die Leute nannten die Krankheit den Schwarzen Tod, und sie muß zu den größten Naturkatastrophen der Menschheitsgeschichte gezählt werden.«
    »Woher stammte sie?« Wir sprachen im Flüsterton.
    »Aus China, von wo sie nach Indien gelangte. Die Kreuzfahrer und später die Kaufleute brachten sie mit sich – sie zerstörte Europa und verschwand dann so plötzlich, wie sie ausgebrochen war.«
    »Und kam nie mehr zurück?«
    »Nicht für dreihundert Jahre. Wie Shaw sagte, mußten Mitte des siebzehnten Jahrhunderts die Theater geschlossen werden, als die Pest England erreichte. Das große Feuer von London muß ihr ein Ende gesetzt haben.«
    »Aber seitdem hat man doch wohl nicht mehr davon gehört.«
    »Im Gegenteil, mein lieber Watson, man hat davon gehört – und es ist nicht länger her als ein Jahr.«
    »Wo?«
    »In China. Sie brach so heftig aus wie stets zuvor und sprang von Hong-Kong auf Indien über, wo sie, wie Sie aus den Zeitungen wissen, zur Zeit die Bevölkerung dezimiert.«
    Ich mußte zugeben, daß es schwierig war, die Beulenpest, von der man in der Presse las, mit einem so festverwurzelten Schrecken zu assoziieren wie dem Schwarzen Tod – und noch schwieriger, sich einen erneuten Einfall der todbringenden Pestilenz hier in England vorzustellen.
    »Wie dem auch sei, wir sind jetzt mit der Möglichkeit konfrontiert«, erwiderte Sherlock Holmes. »Ah, hier sind wir. Eile, meine Herren!« Er schickte die Droschke fort und eilte die Stufen zu Nummer 33 hinauf. Wir stellten fest, daß die Tür nicht verriegelt war. Holmes stieß sie vorsichtig auf. Sogleich stieg uns ein abscheulicher Gestank in die Nase.
    »Was ist das?« keuchte Shaw, der auf der Vordertreppe taumelte.
    »Karbol.«
    »Karbol?«
    »Äußerst konzentriert. Bedecken Sie Ihre Nase und Ihren Mund, meine Herren. Watson, Sie haben Ihren Revolver nicht bei sich? Nein? Was für ein Jammer! Gehen wir hinein.« Er zog sein eigenes Taschentuch, preßte es sich vors Gesicht und trat ein.
    Die Lichter waren aus, und wir wagten nicht, das Gas anzudrehen und so die Mieter aufzuschrecken. Obwohl ich sagen muß, daß es mir unbegreiflich ist, wie irgend jemand eine friedliche Nacht in diesem beißenden Gestank verbringen konnte.
    Nach und nach, während wir uns im ersten Stock entlangtasteten, drang ein schnarrendes, rhythmisches Geräusch an unsere Ohren. Es klang wie der Pulsschlag einer Maschine, die dringend geölt werden muß.
    Wir richteten unsere Schritte instinktiv auf dieses pumpende Geräusch zu und fanden uns bald in einem verdunkelten Zimmer wieder.
    »Kommen Sie nicht näher!« röchelte plötzlich eine Stimme ganz nahe. »Mr. Holmes, nicht wahr? Ich habe Sie erwartet.« Ich erkannte eine vermummte Gestalt, die in einem Sessel bei den Fenstern kauerte, die der Straße zugekehrt waren.
    »Ich hoffte, wir würden Sie rechtzeitig finden, Dr. Benjamin Eccles.«
    Die Gestalt bewegte sich im Dunkeln und drehte unter mühevollem Stöhnen das Gas an.

KAPITEL FÜNFZEHN

    Jack Point

    Es war tatsächlich der Theaterarzt, den uns das schwache Licht der einsamen Lampe

Weitere Kostenlose Bücher