Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
ich mich, dass ein Mediziner namens Benassis in den Adressbüchern von Paris nicht verzeichnet steht. Ein Bibliothekar, den ich fragte, wusste sofort, dass es sich um eine Figur aus Balzacs Roman Der Landarzt handelt, die jedem gebildeten Franzosen geläufig ist. Ich erwarb in einem Trödelladen abgetragene Kleidung und fand als Clochard verkleidet in den Abfalltonnen des Hotels das nunmehr verschwundene Pendel. Danach änderte ich mein Aussehen erneut, begab mich, mich als Bulgare ausgebend, in den Keller des Londres und fragte den Heizer nach Arbeit. Ein Schluck Whiskey löste seine Zunge und er erzählte, dass er am Sonntag eine ganze Zimmereinrichtung habe klein schlagen und verbrennen müssen. In einer Ecke des Heizraumes fand ich den Splitter. Dann untersuchte ich die Medizin von Dr. Benassis. Außerdem habe ich weitere interessante Dinge in Erfahrung gebracht, mit denen wir jetzt Monsieur Brasseur konfrontieren werden. Wo ist Beth?«
»Sie müsste in ihrer Stube sein.«
Doch da war sie nicht! Wir suchten im ganzen Hotel, sie blieb verschwunden. Ich war untröstlich!
»Sie sind völlig schuldlos, Watson, aber ich befürchte das Schlimmste. Für den Fall, dass Beth sich lediglich in der Stadt verlaufen hat, hinterlassen wir ihr eine Nachricht an der Rezeption. Außerdem telegrafiere ich der britischen Botschaft, vor allem aber meinem Bruder. Der Fall nimmt größere Ausmaße an als erwartet. Und dann knöpfen wir uns diesen Brasseur vor. Alons enfants! «
Während der Droschkenfahrt vom St. James and Albany zum Londres herrschte gespanntes Schweigen. Holmes überdachte wohl sein Vorgehen, ich verging fast vor Sorge um die kleine Beth und hoffte, dass ihr nichts passiert war.
»Wir möchten zu Directeur Brasseur«, sagte Holmes nach der Ankunft im Londres in energischem Französisch zu dem arrogant dreinblickenden Rezeptionisten.
»Das wird leider nicht gehen, Monsieur, er befindet sich in einer Besprechung.«
»Interessant, dass gerade Sie das wissen. Dann lassen Sie ihm dies bringen.« Holmes nahm sein Notizbuch heraus, schrieb etwas darauf, riss die Seite heraus, faltete sie zusammen und knallte sie auf den Empfangstisch. Der Rezeptionist winkte einen Pagen und beauftragte ihn mit der Überbringung des Zettels.
»Wir kommen allein zurecht, Monsieur«, erklärte Holmes und folgte dem Pagen, der hinter einer Tür mit der Aufschrift Direction verschwand, aber sofort wieder herauskam. Die Tür hatte keine Klinke und konnte nur von innen geöffnet werden.
Holmes schob schnell seinen Spazierstock in den Türspalt. Der Direktor stand vor einem Fernsprechapparat, den Ohrhörer in der rechten Hand. Holmes unterbrach die Verbindung, wiederum mit seinem Stock, und stellte uns vor. »Ich komme wegen meiner Nachricht«, erklärte er, nahm das Blatt aus seinem Notizbuch aus der linken Hand des überraschend gelassenen Direktors und reichte es mir. Es stand nur ein Wort darauf: Kala-azar.
»Großer Gott!«, entfuhr es mir. »Dum-Dum-Fieber!«
»Ja«, bestätigte Holmes. »Auch Schwarze Krankheit genannt. Hoch ansteckend und unbedingt tödlich. Wie die indische Presse berichtet, sind seit Jahresbeginn einige tausend Menschen allein in Bombay daran gestorben. Offenbar brachte Lady Harmon-Billings die Krankheit von dort mit. Ich hatte sofort an mehr als eine vorübergehende Unpässlichkeit gedacht. Respekt übrigens den tropenmedizinischen Kenntnissen Ihres Hotelarztes, Brasseur! Ausstellungskommissar Tirard, mit dem Sie sich wohl fernmündlich austauschten, machte Ihnen die Folgen einer Dum-Dum-Fieber-Epidemie klar. Hunderttausende von Besuchern würden der Weltausstellung fernbleiben. Eine wirtschaftliche Katastrophe! Sie mussten alles so rasch wie möglich verschleiern. Zum Improvisieren gezwungen, nannten Sie Namen, die Ihnen gerade einfielen, wie Doktor Benassis. Sie schickten die Tochter in die Rue Saint-Saturnin 24, wo zwar kein Arzt wohnt, wohl aber Ihr Komplize, der einen Fernsprechanschluss besitzt und den Sie instruieren konnten. In der Zwischenzeit ließen Sie Zimmer 342 komplett renovieren und das Gästebuch fälschen. Respekt! Was Sie mit der Lady anstellten, wage ich kaum zu fragen. War sie bereits verstorben? Nun, ich will es für Sie hoffen! Außerdem schickten Sie Agenten aus, die unsere Beweismittel stahlen. Zunächst hatten Sie freilich noch keinen Plan bezüglich der Tochter entwickelt. Dann wurde Ihnen jedoch bewusst – oder bewusst gemacht –, dass sie ebenfalls einen möglichen
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