Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
beginnt.«
Weil ich mich um meine Patienten kümmern musste, erlebte ich nicht mit, was mein Freund über den Tag so trieb. Als ich am späten Nachmittag wieder unser Wohnzimmer betrat, saß er rauchend bei einer Tasse Tee und erwiderte meinen Gruß, indem er seine Pfeife erhob. »Gut, dass Sie kommen, Watson! Wir müssen einen Besuch machen!«
Ich machte einen Schritt in Richtung Schreibtisch.
»Nein, den können Sie in der Schublade lassen. Es wird nicht gefährlich.« Er meinte natürlich meinen guten alten Armeerevolver, ohne den ich ungern zu einem Abenteuer ausrückte.
Eine Kutsche brachte uns zu dem ersten Namen auf unserer Liste, James St. John-Smythe, dem Schauspieler und Sportsmann, der 1895 bei der Rallye Paris-Bordeau-Paris in seinem Benz Victoria gegen Emile Levassor nur knapp verloren hatte. In einem recht bekannten Kriminalstück hatte er wenig später die Rolle des Rennfahrers und Detektivs Lord Sinclair gespielt, der mit seinem amerikanischen Freund Mordfälle löst. Die Geschichten waren zum Teil den Abenteuern nachempfunden, die ich mit meinem Freund erlebt hatte, was mich sehr ärgerte.
Auf der Wange hatte der Schauspieler ein kleines braunes Muttermal, sein Haar schien förmlich nach einem Friseur zu schreien. Er wirkte nicht nur aristokratisch, sondern überaus hochnäsig und begrüßte uns trotz der späten Nachmittagsstunde in einem Morgenmantel. Das Erste, was wir lernten, war, dass St. John sich Sindschin aussprach.
»Mein Name ist Smythe«, stellte er sich vor. »St. John-Smythe. Sagen Sie einfach James zu mir.«
»Mr. St. John-Smythe ...«, begann Holmes, die freundliche Aufforderung zur Benutzung des Vornamens ignorierend. Danach versuchte er verzweifelt, die wortreichen Lobeshymnen zu unterbrechen, mit der uns St. John-Smythe förmlich überschüttete, denn er schien sehr wohl zu wissen, wem der Verfasser des Stückes, in dem er mitgespielt hatte, seine guten Ideen und er selber einen Gutteil seines Ruhmes verdankte. Holmes musste noch einmal ansetzen, ehe er zu Wort kam.
»Mr. St. John-Smythe, wir alle bewundern Ihre Kunst und die treffliche Art, wie Sie Ihre private Begeisterung für Motorwagenrennen auf Ihre Rolle übertragen haben. Darf ich fragen, welche Marke Sie privat fahren?«
»Einen Lanchester, warum?«
»Nun, wir sind hier, weil ein Motorwagen dieses Typs in ein Verbrechen verwickelt ist.«
»Ach gar?«, entgegnete er affektiert. »In was für ein Verbrechen denn?«
»Nichts Spektakuläres, Sir. Nur ein Raubüberfall. Welche Farbe hat übrigens Ihr Lanchester?«
»Dunkelgrün, fast schwarz.«
»Mit goldenen Streifen?«
»Ohne. Ich liebe es eher schlicht.«
»Darf ich noch eine letzte Frage stellen?«
»Bitte sehr, so viel Sie wollen. So berühmte Gäste ...«
»Czy pan mówi po polsku?«
»Wie belieben?« Das Erstaunen in St. John-Smythes Stimme und auf seinem Gesicht war sichtlich nicht gespielt.
»Ich fragte, ob Sie Polnisch sprechen?«
»Nein, Mr. Holmes! Ich spreche lediglich ein recht passables Französisch und etwas Deutsch: Guten Tag! und Das ist verboten !« Er hob ironisch die Augenbraue.
»Sie haben mich wie immer überzeugt, Mr. St. John-Smythe.«
Wir dankten und verabschiedeten uns rasch, bevor er zu weiteren Elogen ansetzen konnte. Dann fuhren wir weiter zu Lord Cedrics Besitz, einem riesigen Anwesen aus Backstein im Tudorstil. Wir drangen gar nicht zu Seiner Lordschaft vor, denn der weilte außer Hauses. Auf der Jagd, sagte man uns. Da Holmes sein Kommen angekündigt und sein Begehr vorgebracht hatte, erhielten wir trotzdem die Erlaubnis, den Motorwagen Seiner Lordschaft in Augenschein zu nehmen. Der Chauffeur führte uns zu ihm. Der Wagen sah aus wie eine Kutsche ohne Deichsel, hatte ein Dach für die Passagiere und einen ungedeckten Sitzplatz für den Fahrer. Er war schwarz und rot. Auf der Seite prangte das Wappen derer von Wulfingham. Holmes sah sich alles genau an, fuhr einmal mit dem Finger über den Lack, dankte dann dem Chauffeur und ging ohne weiteren Kommentar. Danach ließen wir uns zur Stadtwohnung von Lady Amanda Linkley bringen, der Schwester Richard Linkleys. Auch hier hatte Holmes unser Kommen telegrafisch angekündigt.
Ein steinalter tauber Diener mit einem ungeheuren Backenbart, der der Familie sicherlich schon seit den Napoleonischen Kriegen diente, empfing uns und führte uns in den Salon. »Mr. Holmes!«
Eine junge Dame in einem offenen Ledermantel rauschte schweren Schrittes herein. Sie trug geschnürte Bergstiefel
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