Sherry Thomas
Gastgeberin versucht
hatten, ihn zu verführen, war er derart schamlos gemustert worden. Was er Gigi
auch beinahe erzählt hätte. »Es ist mir nicht vollkommen entgangen.«
»Oje.«
Verschämt drückte sie ihr Gesicht
ins Fell des Welpen. Als sie dann noch errötete, spannte Camdens Hose höchst
bedenklich.
»Danke«, sagte sie. »Es ist das
schönste Geschenk, das mir jemals jemand gemacht hat.«
Gerührt erwiderte er: »Wenn ich dich
so glücklich sehe, bin ich es auch.«
»Bis morgen.« Sie beugte sich
vor und küsste ihn, ein wunderbar langer, sinnlicher Kuss. »Ich kann es kaum
noch erwarten.«
»Das werden die längsten
vierundzwanzig Stunden meines Lebens«, versicherte er und küsste sie auf
die Nasenspitze. »Eine wahre Ewigkeit.«
Und ganz genau dazu sollte der
kommende Tag auch werden: zu einer endlosen Ewigkeit – in der Hölle.
Kapitel 9
14. Mai 1893
Woher kam die Musik? In Gigis Haus war
nur Musik zu hören, wenn sie jemanden dafür bezahlt hatte, für sie zu spielen. Sie ließ den Bericht in
ihrer Hand sinken und lauschte den leisen, aber unüberhörbaren Tönen, die jemand
einem Klavier entlockte.
In seinem Korb neben dem Bett
wimmerte Krösus, schnaufte und öffnete die Augen. Das arme Ding konnte nachts
nicht mehr gut schlafen, was möglicherweise an den ganzen kleinen Nickerchen lag,
die er sich tagsüber genehmigte. Er schüttelte den Kopf, stellte sich auf die kurzen Beine und kletterte mühsam
die Stufen der kleinen Treppe empor. Die war extra für ihn angefertigt worden,
seit er es nicht mehr schaffte, vom Hocker zu seiner Herrin aufs Bett zu
springen.
Gigi schlug die Decke zurück und
holte ihn zu sich nach oben. »Das ist mein verrückter Gemahl«, erklärte
sie dem alten Hund. »Statt sich mit mir
herumzuärgern, quält er das verdammte Klavier. Komm, wir gehen hin und sagen
ihm, dass er gefälligst leise sein und aufhören soll.«
Der Gemahl begann gerade ein
besonders getragenes Stück, als sie die Treppe hinunterstieg – bong, bong,
bong, bong, bing, bing, bing, bing –, bestimmt von Herrn Beethoven. Mit einem
Seufzen öffnete sie die Tür des Musikzimmers.
Tremaine hatte einen seidenen
Hausmantel übergezogen, der so glänzend und schwarz war
wie das Klavier selbst. Sein Haar war etwas zerzaust, aber ansonsten wirkte er
ernst, konzentriert – ein Mann, der wusste, was er wollte. Alle waren sich
immer darin einig gewesen, was für ein großartiger Mensch Camden war: ein guter
Sohn, ein liebevoller Bruder, ein treuer Freund – und dazu noch charmant und
weltgewandt.
Allerdings konnte er auch
ausgesprochen grausam sein, doch so weit musste man ihn erst einmal bringen.
Daher glaubten viele seiner Bekannten und Freunde nicht einmal, dass er diese
Eigenschaft überhaupt besaß.
»Bitte vielmals um Verzeihung«,
sagte sie. »Es gibt Menschen in diesem Haus, die morgen früh aufstehen müssen
und daher ihre Nachtruhe brauchen.«
Camden hörte auf zu spielen und
musterte sie mit einem sonderbaren Blick. So glaubte sie zumindest, bis ihr auffiel,
dass er nicht sie ansah, sondern den Hund.
»Ist das
Krösus?« Er runzelte die Stirn.
»Ja.«
Noch immer stirnrunzelnd stand er
auf. »Was ist denn mit ihm?«
Überrascht schaute sie Krösus an. Er
sah eigentlich aus wie immer. »Nichts«, verteidigte sie sich scharf. Immerhin hatte sie stets dafür gesorgt, dass
das Tier ein schönes und glückliches Leben führte. »Ihm geht es so gut, wie es
bei einem Hund seines Alters nur möglich ist.«
Krösus war inzwischen zehneinhalb
Jahre alt und sein einst glänzendes Fell grau und matt. Er jaulte viel, wurde schnell müde und aß nur noch wenig.
Wenn er aber Appetit bekam, kredenzte man ihm teuerste Leberpasteten mit
gebratenen Pilzen. Ging es ihm schlecht, behandelte ihn der beste Tierarzt von
London.
Camden streckte die Hand nach Krösus
aus. »Komm her, alter Junge.«
Krösus betrachtete ihn müde, bewegte
sich aber nicht. Allerdings protestierte er auch nicht, als Cam den ihn auf den
Arm nahm.
»Erinnerst
du dich noch an mich?«
»Das wage
ich doch zu bezweifeln«, sagte Gigi.
Diese schnippische Bemerkung
überging er. »Ich habe zwei Hunde in New York«, wandte er sich stattdessen
an das Tier. »Hannah und Bernard. Ein
ziemlich aufgekratztes Pärchen. Die beiden würden dich gern eines Tages
kennenlernen.«
Sie begriff nicht, weshalb eine
unwichtige Kleinigkeit wie die Bemerkung über die beiden Hunde in New York ihr
so scheußlich wehtat.
»Nein, du erinnerst dich
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