Shevchenko, A.K.
den
Blumenstängel ab, so dicht wie möglich an der Erde. Die Blume lebte noch,
verbrannte mit ihren orangeroten Blütenblättern seine Hand, als sie die
Baracken erreichten ...
Falls es einen vierten Kreis der Hölle gibt, dann steht
Taras jetzt mittendrin und lauscht dem Zischen, das sich in weißes Rauschen
verwandelt.
»Dieses Thema auf der Agenda des Präsidenten - das
verlangt umgehend nach einem Kommentar, meinen Sie nicht, Petrenko?« Karpow
klopft mit den Fingern auf den Tisch. Taras begreift nicht. Die Sätze auf dem
Blatt Papier verschwimmen zu einem einzigen Satz. Und was für ein Satz. Ein
Todesurteil. Verzweifelt zermartert er sich das Hirn nach einer Erklärung.
»Ich habe General Ipatjew gestern auf einen Drink getroffen«, fährt Karpow
fort, »und ihm gegenüber Ihre jüngsten Heldentaten erwähnt.« Zum ersten Mal
schwingt Emotion in Karpows eisiger Stimme mit - aber nicht die Art von
Emotion, die Taras heute eigentlich erwartet hatte. »Heute Morgen lud mich
Ipatjew zu sich ins Büro, um mir das hier zu zeigen - die Niederschrift eines
Telefongesprächs. Gott weiß, wie seine Jungs da rangekommen sind! Gestern
frisch aufgezeichnet. >Wenn man vom Teufel spricht ...<, sagte Ipatjew
sarkastisch, als er es mir gab. Mit >Teufel< hat er vermutlich Sie gemeint,
Petrenko!«
Er legt Taras ein weiteres Dokument auf den Tisch. Die
Buchstaben hüpfen tückisch von den Seiten, verschwinden vom Papier:
Dieses Gespräch fand am 9. April um 16 Uhr
Weltzeit in London statt.
Amtsperson A (Amtssitz
des Premierministers) Amtsperson B (Bank of England)
A: Die Sache mit dem Erbe ... Die
Agenda, die die Ukrainer der britischen Seite präsentiert haben, enthält
keinerlei Hinweis darauf. Ich denke, die wollen, dass der Präsident die
Botschaft überraschend verkündet, unter Punkt sieben der Agenda: Sonstiges.
Meinen Sie, die Ukrainer haben Anspruch auf das Erbe?
B: Vorausgesetzt, sie haben alle
Dokumente - und davon gehe ich mal aus, sonst würde der Präsident das Thema
kaum anschneiden -, haben sie wohl leider Anspruch darauf, Sir.
A: Über welche Summe sprechen wir? Lange
Pause.
B: Gemäß unseren Berechnungen,
inklusive allen Zinsen, die sich im Lauf der Jahre angesammelt haben, sind es
über zweihundertundsiebzig Billionen Pfund.
Lange Pause.
A: Dann sollten wir gut vorbereitet
sein. Natürlich werden wir dem ukrainischen Präsidenten versichern, dass die
Regierung Ihrer Majestät alles tun wird, um ihm bei der Wiedererlangung des
Vermögens behilflich zu sein. Der Premierminister wird sein Verständnis zum
Ausdruck bringen, dass die Ukrainer das Geld jetzt einfordern wollen, zu diesem
historischen Zeitpunkt - der in der Entwicklung ihres seit kurzem unabhängigen
Staats leider nicht der günstigste ist. Wir müssen allerdings auch eine
subtile Warnung aussprechen, dass die Anforderung des Erbes einen langwierigen
und kostspieligen Prozess bedeuten könnte, womöglich jahrelang dauert und
Gerichtskosten in Millionenhöhe verschlingt. Denkt man an die Summen, um die es
hier geht, dann neige ich zu der Ansicht, dass diese Erbschaftsangelegenheit in
dieses Szenario passen könnte. Meines Wissens finden nächstes Jahr die
ukrainischen Präsidentschaftswahlen statt, und in dieser Situation könnte es
nicht ganz angemessen wirken, das Vermögen für die Gerichtskosten in
Großbritannien zu verschleudern.
Man könnte durchaus auch Folgendes erwähnen: Wenn die
Ukraine, mit der Unterstützung britischer Freunde, der NATO beitreten würde,
könnte der Präsident seine Anstrengungen darauf konzentrieren, seiner Nation
eine friedliche Zukunft zu sichern. Das würde sich gut für die Wahlreden
eignen, meinen Sie nicht auch?
B: Sir, ich habe mir das ukrainische
Haushaltsdefizit und die Inflationsrate für dieses Jahr angesehen - eine
Katastrophe. Das Land braucht dieses Geld unbedingt. Meiner Ansicht nach wären
sie dumm, das Geld nicht einzufordern; dies ist ihre Überlebenschance, ihre
Chance, sich von Russland zu lösen.
A: Danke. Ich werde Ihre
Erläuterungen dem Schriftsatz beifügen, der unser bevorzugtes Vorgehen
erläutert.
»Bitte
etwas lauter, Petrenko, ich kann Ihren Kommentar kaum verstehen. Werde ich
allmählich taub, oder muss ich davon ausgehen, dass Sie nichts zu sagen
haben?«
Karpow kann ironisch sein, denkt Taras. Aber heute ist er
richtig ätzend.
Taras spürt, wie ihm der Schweiß heiß von der Schläfe bis
zur linken Wange hinunterrinnt. Er wischt ihn nicht ab. Ein
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