Shevchenko, A.K.
ich kann's kaum
erwarten, von deiner Reise zu hören! Ich hab neulich nur durch Zufall von
Sandra erfahren, dass du in Kiew warst, als du nicht zur Anprobe kamst! Wie konntest du mir
das verschweigen? Ich hätte dir ein Paket mitgegeben!« Kate versucht, Marinas
Worte zu begreifen.... unsere kleine Spritztour morgen
... Als es ihr einfällt, bricht wieder die Flutwelle über sie
herein. Morgen ist Marinas Junggesellinnenabschied in einem eleganten
Wellnesscenter nur für Frauen, schon seit Monaten gebucht; Marina heiratet
nächsten Sonntag, und sie, Kate, ist ihre Trauzeugin.
Kate hat Marina vor drei Jahren kennengelernt, als die
Agentur sie als Ukrainisch-Übersetzerin empfahl. Anfangs war Kate von Marinas
Persönlichkeit überrumpelt: Sie war üppig und laut, quasselte in einer Tour,
machte zu viele Worte um zu wenig Inhalt; aber bald schon merkte Kate, dass
Marina eine seltene Gabe besaß - sie wirkte auf Menschen wie ein Magnet. Ihre
beruhigende tiefe Stimme, die Anmut ihrer Bewegungen und die Wärme, die sie
ausstrahlte, machten sie auf jeder Party zum Mittelpunkt. Besonders zog sie
die Aufmerksamkeit von Männern auf sich. Kate wusste genau: Wenn sie mit Marina
etwas Trinken ging, hieß das nie einfach, »sich nett zu unterhalten« - es
endete unweigerlich damit, dass sie alle möglichen Männer abwehren musste,
Männer unterschiedlichster Altersstufen, Berufe und sexueller Orientierung.
Marina hatte Kate schon beim ersten Treffen in wenigen
Minuten ihre Lebensgeschichte erzählt. Als ehemalige Intourist-Führerin zu
Beginn der Perestroika-Jahre wurde sie gebeten, einen alternden
britischen Rockstar auf einer Tour durch Russland zu begleiten. Der Hunger
nach allem, was aus dem Westen kam, bescherte ihm überraschende Publicity und
volle Stadien. Im Adrenalinrausch dieser Tour machte er Marina einen
Heiratsantrag. Als sie schließlich merkte, dass seine Spontaneität - und
spätere Reue - sich auch auf Drogen, Alkohol und Blondinen erstreckte, war es
zu spät. Sie war schwanger. Der nächste Schock kam neun Monate später, als der
alternde Rockstar, stimuliert durch seine Anwälte und seinen Drogenkonsum,
beschloss, die Scheidung einzureichen - mit der Begründung, der kleine Junge,
jetzt drei Monate alt, sei nicht von ihm. Marinas Mutter in Kiew gab ihr klar
zu verstehen, dass sie ihren neugeborenen Enkel zwar stets mit offenen Armen
empfangen werde, aber immer nur für kurze Zeit, weil in Marinas altem Zimmer
jetzt deren gelähmte Großmutter wohnte.
Jede andere wäre unter diesen Umständen zusammengeklappt.
Aber nicht Marina! Sie krempelte - buchstäblich - die Ärmel hoch, arbeitete
nachts in einem italienischen Cafe in Clapham als Tellerwäscherin und rannte
jede halbe Stunde nach oben, um nach ihrem Saschenka zu sehen, der über dem
Cafe in ihrer winzigen Einzimmerwohnung schlief. Tagsüber arbeitete sie als
Übersetzerin und schaukelte dabei Saschenkas Wiege. Und jetzt, sieben Jahre
später, fühlt sie sich prächtig und heiratet nächsten Sonntag Mario, den
Besitzer des besagten italienischen Cafes. »Das Wellnesscenter ist toll, es wird
dir absolut gefallen, das versprech ich dir! Aber jetzt musst du mir von der
Kiewreise erzählen, unbedingt!« Die künftige Braut hört auf zu gurren, zieht
Kates Bürostuhl heran und lässt sich darauf nieder. Dann sitzt sie da wie eine
aufmerksame Schülerin, die Hände auf den Knien. Die Armreife an den breiten
Handgelenken klirren nicht mehr, Marina lauscht.
Verwirrt weicht Kate einen Schritt zurück. Sie möchte sich
gegen ihren Schreibtisch lehnen: für dieses Treffen braucht sie unbedingt Halt.
Um Platz zu schaffen, beseitigt sie den für den Stift aufgebauten
Hindernisparcours, dann die Papiere, die sie so ordentlich gestapelt hat - und
entdeckt ganz unerwartet einen Fluchtweg. Zumindest einen vorübergehenden
Aufschub. Sie nimmt eins der in Kyrillisch abgefassten Dokumente vom Tisch.
»Toll, dass du hergekommen bist, Marina!«, bringt sie heraus. »Danke, dass du
das Kleid vorbeibringst ... Schau mal, ich hab da in Kiew etwas gekriegt, etwas
sehr Wichtiges, aber auf Ukrainisch. Könntest du das bitte kurz überfliegen?
Nur damit ich verstehe, worum es geht.« Sie drückt Marina die Blätter in die
Hand und lässt ihr keine Chance zum Widerspruch.
Marina seufzt, blickt auf das Blatt und beginnt das, was
sie so gut beherrscht - die Übertragung von Texten aus einer Sprache in die
andere unter Beibehaltung der ursprünglichen Diktion: »Ukrainer
im Dienst
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