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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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könnte von zusätzlichen Spenden
wirklich profitieren. Wir könnten mehr junge Leute in die Kirchen locken. Sie
sind von zu vielen Versuchungen umgeben - Drogen, Spielcasinos, Striptease-Bars.
Was sie brauchen, ist eine starke spirituelle Führung, eine spirituelle
Erziehung. Wir sollten ihre Herzen für Vertrauen und Liebe öffnen.
    Die Politiker schreien schon genug von der Rettung der
Nation; wir sind hier, um dem einzelnen Menschen zu helfen, der verlorenen
Seele. Jesus fordert nicht von uns, dass wir die Menschheit retten. Er fordert
von uns, dass wir den einzelnen Menschen retten. Gewiss ist Ihnen klar, dass
Ihre Bitte eine Verletzung des Protokolls darstellen würde? Es könnte ja jeder
daherkommen und um ein Treffen mit dem Präsidenten bitten und behaupten, es
gäbe irgendwelche geheimen Dokumente! Doch angesichts der Empfehlung des
Priors werde ich sehen, was ich tun kann. Der Präsident kehrt morgen von seinem
Besuch in Lettland zurück. Kommen Sie am Mittwoch in mein Büro.«
    Der Metropolit nickt bedächtig. Ende des Monologs, Ende
der Unterredung, Ende des Treffens. Man merkt, dass seine wahre Berufung eher
das Predigen als die Linderung menschlichen Leids ist. Kate verlässt den Raum,
wendet sich noch einmal um, weil sie dem Prior danken möchte, doch die Tür hat
sich schon hinter ihr geschlossen, und der Prior und der Metropolit bleiben
allein zurück. Kate überlegt, ob dies die seltene Chance für ein vertrauliches
Gespräch ist oder ob das wieder die Rangordnung verbietet. Bruder Sergij
begleitet sie schweigend hinaus. Am Ausgang sagt er nur: »Ich rufe Sie an und
hole Sie am Mittwoch vom Hotel ab.«
    Jetzt erst begreift Kate. Mittwoch? Die erwarten, dass sie
bis Mittwoch bleibt? Noch einmal achtundvierzig Stunden? Wenigstens befindet
sich der Präsident nicht gerade auf einer Asienreise! Sonst würde sich ihr
Aufenthalt ja noch mindestens um ... Was tut sie hier überhaupt? Kate ist
verärgert, und Andrij ist der Einzige, bei dem sie ihre Empörung abladen kann.
Hier ist sie in einem Kloster: Alle bekreuzigen sich ununterbrochen, alle
murmeln Gebete vor sich hin, da fällt ein gestikulierendes Mädchen, das
Selbstgespräche führt, gar nicht weiter auf. »Hör mal, Andrij, wie konntest du
mich nur in diese Sache hineinziehen?«, flüstert Kate empört. »Warum muss ich
achtundvierzig Stunden meines Lebens
opfern, um das Leben all dieser Menschen hier zu verändern - das Leben dieses
Liebespaars dort auf der Bank, dieser babuschka mit ihrem
purpurroten Schal am Ticketschalter, dieses Kleinkinds, das über das Pflaster
auf seinen Kinderwagen zuwackelt, dieses Übersetzers mit dem Spitzbart? Du
hast mir das eingebrockt, ganz genau. Dein süßes jungenhaftes Grinsen kannst du
dir sparen - du kanntest die Gefahren. Es ist ja eigentlich nicht mein Problem,
aber meine reale Angst und mein Leben!
Erst heute, als ich die Summe aussprach, wurde mir klar, dass dieses Geld ja meinem Land
weggenommen wird! Ist es verkehrt, was ich tue? Was ist, wenn dein Aktenordner
eine nationale Krise in meinem Land heraufbeschwört? Mein Gott, wer kann mir
einen Rat geben? Ehrlich gesagt reicht es mir jetzt. Ich sollte den Ordner
hierlassen und einfach gehen, mir ein Taxi zum Flughafen rufen. Es wäre so
leicht, nur drei Handgriffe: den Reißverschluss der Tasche öffnen, den Ordner
herausnehmen, die kleine Holzkiste hier auf die sonnige Bank stellen und
gehen.«
    Sie kommt sich wie das Miniaturmännchen vor, das heute
Morgen im mikroskopischen Museum entschlossen am Spiraldraht entlanggewandert
ist. Der Kommentar in fünf Sprachen lautete wie folgt:
    Die Unruhefeder, einer winzigen Uhr entnommen, symbolisiert
besonders wichtige, entscheidende Momente im Leben. Der Mann, der die Feder
entlanggeht, misst 5 Mikrometer. Dieses Männchen, ganze 5 Mikrometer
groß, balanciert also auf der Feder und wandert durch die »entscheidenden
Momente seines Lebens«. Sie hat ihre Balance
schon fast verloren, nicht wahr? Buchstäblich, als sie heute Morgen im Museum
über diesen anderen Besucher stolperte, ja fast gestürzt wäre, und ihre Tasche
fallen ließ. Zum Glück hat er sie am Arm gepackt, die Tasche aufgehoben und ihren
Ellbogen einen Moment länger festgehalten als nötig. Und er hat etwas zu ihr
gesagt ... was war das noch mal gewesen? Ah, ja: »Ich wünschte, ich könnte
Ihnen eine echte Rose schenken«, womit er sich auf die von einem glänzenden
menschlichen Haar umhüllte Rose im Museum bezog. Charmant ... Hätte sie

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