Shibumi: Thriller (German Edition)
diese dadurch noch.
Die jungen Männer an der Winde hatten noch keine Erfahrung mit dieser Arbeit und vergaßen einmal sogar, die Sicherheitsklemmen aufzusetzen. Unten hing gerade Hel am Seil und hämmerte mit einem kurzstieligen Handpickel an einer pyramidenförmigen Blockade aus vier Steinen herum. Unvermittelt gaben die Steine unter ihm nach.
Das Seil über ihm war schlaff. Er stürzte …
Ungefähr dreißig Zentimeter tief bis auf die nächste Blockade.
Für den Bruchteil einer Sekunde war er ein toter Mann. Und er blieb eine Weile schweigend da unten hocken, weil der gewaltige Adrenalinstoß seinen Magen zum Flattern gebracht hatte. Dann setzte er den Kopfhörer auf und gab mit seiner leisen Gefängnisstimme langsam glasklare Anweisungen für die Verwendung der Klemmen. Und machte sich wieder an die Arbeit.
Waren Hel und Le Cagot körperlich zu erschöpft, an Knien und Fingerknöcheln zu zerkratzt, waren ihre Unterarme zu verkrampft, um mit der Faust den Eispickelgriff fest zu umschließen, legten sie sich in der artzain xola eines Schäfers schlafen, die nur während der Sommerweidezeit benutzt wurde. Zu verkrampft und verspannt, um sofort einzuschlafen, plauderten sie noch eine Weile, während der Wind klagend um die Südflanke des Pic d’Orhy, der höchsten Erhebung im Baskenland, strich. Und hier hörte Hel zum ersten Mal das Sprichwort, demzufolge alle Basken, wo immer sie sein mögen, unaufhörlich ein romantisches fieberhaftes Sehnen nach Eskual-herri empfinden.
Orhiko choria Orhin laket: »Die Vögel von Orhy sind nur in Orhy glücklich.«
Die schlimmste und aussichtsloseste Zeit ihrer Erkundungstour war jedoch jene, die sie in 365 Meter Tiefe an einer gewaltigen Blockade verbrachten, wo sie in einem unablässigen Regen eisigen Sickerwassers arbeiten mussten. Sie hörten das Dröhnen und Rauschen eines unterirdischen Flusses, der sich dicht unter ihnen in den Schacht ergoss. Dem Geräusch nach zu urteilen, stürzte das Wasser nach dem Eintritt in den Schacht in große Tiefe hinab, daher war anzunehmen, dass es den Rest des Schachtes von Barrieren freigehalten hatte. Als Hel nach drei Stunden, in denen er auf das festgeklemmte Gestein eingehämmert hatte, wieder nach oben kam, war er leichenblass und zitterte vor Kälte am ganzen Körper; sein Lippen waren von der Unterkühlung blau, Hände und Gesicht vom stundenlangen Hängen im kalten Wasser fahl und runzlig. Le Cagot lachte herzhaft über ihn und prahlte, er werde gleich sehen, wie der Fels vor der Kraft eines Basken erbebe und freiwillig weiche. Aber er war noch nicht sehr lange unten, da kam seine Stimme schon keuchend und spuckend durchs Telefon, verfluchte die Blockade, den eiskalten Regen, den dämlichen Schacht, die Berge, den Höhlensport und die gesamte Schöpfung bei den rauchenden Eiern des Heiligen Geistes! Dann herrschte auf einmal Stille. Und schließlich kam seine Stimme atemlos und gedämpft wieder: »Es fängt an zu rutschen. Seht zu, dass diese verdammten Klemmen festsitzen. Wenn ich falle und meinen Adoniskörper beschädige, werde ich raufkommen und eine Menge Arschtritte verteilen!«
»Warte!«, schrie Hel ins Telefon, denn das Seil hing noch durch, damit Le Cagot mehr Bewegungsfreiheit hatte.
Mit einem Grunzen kam der letzte Schlag, dann spannte sich auf einmal das Seil. Eine Zeit lang blieb alles ruhig; kurz darauf rief er mit angestrengter und metallisch klingender Stimme: »Das wär’s, Freunde und Bewunderer! Wir sind durch. Und ich hänge in einem gottverdammten Wasserfall.« Kurze Pause. »Übrigens, ich habe mir den Arm gebrochen.«
Hel atmete einmal tief durch und vergegenwärtigte sich den Verlauf des Schachts. Dann fragte er mit seiner ruhigen, leisen Stimme durchs Telefon: »Schaffst du es mit einer Hand durch den Korkenzieher?«
Keine Antwort von unten.
»Beñat? Meinst du, dass du es schaffst?«
»In Anbetracht der Alternative sollte ich es wohl lieber versuchen.«
»Wir werden alles schön langsam und ruhig machen.«
»Das wäre sehr nett von euch.«
Auf Hels Anweisung begann einer der jungen Männer in die Pedale zu treten. Das System hatte eine so niedrige Übersetzung, dass sie ein sehr langsames Tempo einhalten konnten, und auf den ersten zwanzig Metern gab es auch keine Schwierigkeiten. Aber dann kam Le Cagot an den Korkenzieher, der sich beinahe achtzig Meter emporschraubte. Hier konnten sie ihn nicht mehr ziehen, denn die Nischen und Schlitze, die sie in den Fels gehauen hatten, um dem Seil
Weitere Kostenlose Bücher