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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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Saint-Jean-de-Luz, wo die Fischerboote sich verschlafen auf dem öligen Wasser ihrer Liegeplätze wiegten. Er verlagerte das Gewicht des Seesacks ein wenig und machte sich auf den Weg ins Café zum Walfisch, um seine telegraphische Bestellung zu bestätigen. Der Cafébesitzer war Chefkoch in Paris gewesen, ehe er sich in seinem Heimatdorf zur Ruhe setzte. Es machte ihm Spaß, gelegentlich seine Kunst beweisen zu können, vor allem, wenn Monsieur Hel ihm im Hinblick auf Speisenfolge und Unkosten Carte blanche gab. Das Dinner sollte im Haus von Monsieur de Lhandes zubereitet und serviert werden, jenes »vornehmen kleinen Gentleman«, der in einer alten Villa am Meer wohnte und sich niemals auf den Straßen von Saint-Jean-de-Luz blicken ließ, weil seine Physiognomie schlecht erzogene Kinder zu Bemerkungen, ja vielleicht sogar zu Spott hätte hinreißen können. Monsieur de Lhandes war Liliputaner, kaum mehr als einen Meter groß, obwohl über sechzig Jahre alt.
    Als Hel an die Hintertür klopfte, spähte Mademoiselle Pinard zunächst misstrauisch durch einen Vorhang; doch dann verzog sich ihr Gesicht zu einem strahlenden Lächeln, und sie öffnete mit einladender Geste die Tür. »Ah, Monsieur Hel! Herzlich willkommen! Es ist schon viel zu lange her, dass wir Sie zuletzt gesehen haben. Kommen Sie, kommen Sie nur herein! Mein Gott, Sie sind ja ganz nass! Monsieur de Lhandes freut sich schon sehr auf das Abendessen mit Ihnen!«
    »Ich möchte Ihren Fußboden nicht nass machen, Mademoiselle Pinard. Darf ich meine Hose ausziehen?«
    Mademoiselle Pinard errötete und gab ihm entzückt einen Klaps auf die Schulter. »Aber Monsieur Hel! Spricht man so mit einer Dame? Nein, diese Männer!« Getreu ihrem altbewährten Ritual unschuldiger Flirterei erschien sie verwirrt und erfreut zugleich. Mademoiselle Pinard war etwas über fünfzig; sie war schon immer etwas über fünfzig gewesen. Hochgewachsen und dürr mit trockenen nervösen Händen und einem alles andere als geschmeidigen Gang, war sie mit einem Gesicht geschlagen, das viel zu lang war für ihre winzigen Augen und den schmalen Mund, so dass es zum größten Teil aus Stirn und Kinn zu bestehen schien. Wäre dieses Gesicht charakteristischer geprägt gewesen, hätte man sie hässlich nennen müssen; so aber war sie bloß unscheinbar. Mademoiselle Pinard war aus dem Holz, aus dem alte Jungfern geschnitzt sind, und ihrer unantastbaren Tugend hatte der Umstand, dass sie seit nunmehr dreißig Jahren Bernard de Lhandes’ Gefährtin, Krankenschwester und Geliebte war, keineswegs Abbruch getan.
    Mademoiselle Pinard war eine von den Frauen, die »Zut!« sagen, oder »Ma foi!«, wenn sie einmal über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus entrüstet sind.
    Als sie ihn in das Zimmer führte, in dem er bei jedem seiner Besuche übernachtete, sagte sie leise: »Monsieur de Lhandes geht es im Augenblick gar nicht gut, müssen Sie wissen. Ich bin froh, dass Sie ihm heute Abend Gesellschaft leisten, aber Sie müssen sehr vorsichtig sein. Er ist dem Herrgott sehr nahe. Wochen, höchstens ein paar Monate noch, sagt der Arzt.«
    »Ich werde vorsichtig sein, Darling. So, da wären wir. Möchten Sie mit hereinkommen, während ich mich umziehe?«
    »Aber Monsieur!«
    Hel zuckte die Achseln. »Na schön. Doch eines Tages wird Ihre Verteidigungsbastion in sich zusammenfallen, Mademoiselle Pinard. Und dann … Oh, aber dann!«
    »Sie Ungeheuer! Und Sie wollen ein Freund von Monsieur de Lhandes sein? Nein, diese Männer!«
    »Wir sind alle Opfer unseres Appetits, Mademoiselle. Hilflose Opfer. Sagen Sie, wie weit ist das Dinner?«
    »Der Chef und seine Gehilfen klappern schon den ganzen Tag in der Küche herum. Alles ist fertig.«
    »Dann sehen wir uns beim Dinner und befriedigen unseren Appetit gemeinsam.«
    »Aber Monsieur!«
    Sie nahmen das Abendessen im größten Zimmer des Hauses ein, in einem Raum, dessen Wände von Regalen mit Büchern gesäumt waren, die, ohne jede Ordnung gestapelt und aufgereiht, von de Lhandes’ begeistertem Lerneifer zeugten. Da er es für abscheulich hielt, beim Essen zu lesen – also eine Passion durch die andere zu verwässern –, war de Lhandes auf die Idee gekommen, Bibliothek und Speisezimmer zu kombinieren, und der lange Refektoriumstisch diente nun beiden Beschäftigungen. Zu dritt saßen sie an einem Ende dieses Tisches, Bernard de Lhandes am Kopfende, Hel zu seiner Rechten und Mademoiselle Pinard links von ihm. Wie fast alle seine Möbel waren Tisch und

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