Shibumi: Thriller (German Edition)
»Erklärungen können Sie Nikolai geben. Und er sagt mir dann so viel, wie er für richtig hält.«
Als Hannah ihrer Gastgeberin die breite Marmortreppe hinauf folgte, die von der Halle nach oben führte, schluchzte sie immer noch und kam sich vor wie ein kleines Kind. Aber sie spürte, wie sich ein sanfter Friede in ihr ausbreitete. Was immer in dem Tee gewesen war, es nahm ihren Erinnerungen den Schmerz und schwemmte sie weit, weit fort. »Sie sind sehr liebenswürdig, Mrs. Hel«, sagte sie aufrichtig.
Hana antwortete mit leisem Lachen: »Nennen Sie mich doch bitte Hana. Wissen Sie, ich bin nämlich nicht Nikolais Frau. Ich bin seine Konkubine.«
WASHINGTON
Die Aufzugtüren öffneten sich lautlos, und Diamond betrat vor Miss Swivven die ganz in Weiß gehaltene Arbeitsflucht im fünfzehnten Stock.
»… und bitte mir aus, dass sie spätestens zehn Minuten nach der Aufforderung hier sind: Starr, der Deputy und dieser … dieser Araber. Haben Sie das?«
»Ja, Sir.« Miss Swivven begab sich unverzüglich in ihr Zimmerchen, wo sie alles Nötige veranlasste, während der Erste Assistent sich von seinem Platz am Computer erhob.
»Ich habe Asa Sterns Kontakte ersten Grades, Sir. Sie kommen gerade herein.« Er empfand berechtigten Stolz. Es gab höchstens zehn Personen auf der Welt mit der Fähigkeit, aus Fat Boy eine auf so amorphen emotionalen Beziehungen beruhende Liste herauszuholen.
»Geben Sie mir die Liste auf den Tischbildschirm«, befahl Diamond und setzte sich in seinen Drehsessel am Kopf des Konferenztisches.
»Kommt sofort. Hoppla! Eine Sekunde noch, Sir. Die Liste ist um hundertachtzig Grad invertiert. Ich werde sie sofort umkehren.«
Es war typisch für die Unfähigkeit des Computers, zwischen Liebe und Hass, Zuneigung und Erpressung, Freundschaft und Schmarotzertum zu unterscheiden, so dass eine nach solchen emotionalen Rubriken geordnete Liste in fünfzig Prozent der Fälle invertiert herauskam. Der Erste Assistent hatte diese Gefahr vorausgesehen und der Liste die Namen Maurice Herzog und Heinrich Himmler (beide unter H) hinzugefügt. Als der Ausdruck angab, Himmler sei von Asa Stern zutiefst bewundert, Herzog dagegen verabscheut worden, wagte der Erste Assistent die Vermutung, Fat Boy habe mal wieder alles vertauscht.
»Es ist doch hoffentlich keine bloße Aufzählung, oder?«, erkundigte sich Diamond.
»Nein, Sir. Ich habe Punktdaten verlangt. Nur die markantesten Fakten zu jedem Namen, damit eine exakte Identifizierung ermöglicht wird.«
»Llewellyn, Sie sind ein verdammtes Genie.«
Der Erste Assistent nickte zerstreut, während er zusah, wie die Liste in IBM -Groteskschrift über den Bildschirm kroch.
STERN , DAVID
VERBINDUNG GLEICH SOHN … KARTE WEISS … STUDENT , AMATEURSPORTLER … GETÖTET 1972 sub MÜNCHNER OLYMPIADE …
STERN , JUDITH
VERBINDUNG GLEICH EHEFRAU … KARTE ROSA … WISSENSCHAFTLERIN , FORSCHERIN … GESTORBEN 1956 sub NATÜRLICHE URSACHE …
ROTHMANN , MOISHE
VERBINDUNG GLEICH FREUND … KARTE WEISS … PHILOSOPH , DICHTER … GESTORBEN 1958 sub NATÜRLICHE URSACHE …
KAUFMANN , S. L.
VERBINDUNG GLEICH FREUND … KARTE ROT … POLITISCHER AKTIVIST … IM RUHESTAND …
HEL , NIKOLAI ALEXANDROWITSCH
VERBINDUNG GLEICH FREUND …
»Stopp!«, befahl Diamond. »Anhalten!«
Der Erste Assistent überflog die unmittelbar folgenden Informationen. »Allmächtiger!«
Diamond lehnte sich im Sessel zurück und schloss die Augen. Wenn die CIA was verpatzt, dann tut sie’s gleich im großen Stil! »Nikolai Hel«, sagte Diamond tonlos.
»Sir?«, fragte der Erste Assistent behutsam; unwillkürlich musste er an den uralten Brauch denken, den Überbringer schlechter Nachrichten hinrichten zu lassen. »Dieser Nikolai Hel hat eine violette Karte.«
»Ich weiß … Ich weiß.«
»Äh … Sie wünschen wahrscheinlich den kompletten Datensatz über Hel, Nikolai Alexandrowitsch, Sir?«, erkundigte sich der Erste Assistent beinahe entschuldigend.
»Ja.« Diamond erhob sich und trat an das große Fenster, vor dem das angestrahlte Washington Monument sich vom dunklen Nachthimmel abhob, während mehrere Doppelreihen von Autoscheinwerfern die Avenue entlang auf die Stadtmitte zukrochen. »Sie werden feststellen, dass der Datensatz erstaunlich mager ausfällt.«
»Mager, Sir? Bei einer violetten Karte?«
»Bei dieser violetten Karte.«
Nach dem Farbcodiersystem kennzeichneten violette Lochkarten die am schwersten fassbaren, vom Standpunkt der Muttergesellschaft her
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