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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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konnte er weder schlafen noch die Gesellschaft der lebhaften, überschäumenden Tanaka-Schwestern ertragen, deren bäuerliche Kraft zu einer ihm fremden Welt des Lichts und der Hoffnung zu gehören schien und daher auf ihn nicht nur banal, sondern sogar störend wirkte. Allein in der Dunkelheit eines Zimmers, das auf den kleinen Garten hinausging, die Wände zur Seite geschoben, damit er den Regen auf den breitblättrigen Pflanzen trommeln und auf dem Kies leise zischeln hören konnte, vor der Kälte nur durch einen wattierten Kimono geschützt, kniete er neben einem Holzkohlenofen, dessen Feuer schon längst erloschen war und der sich nur noch lauwarm anfühlte. Zweimal hatte er Zuflucht in einer mystischen Entrückung gesucht, doch seine Seele war zu sehr von Furcht und Hass erfüllt, um ihn die Schwelle des Vergessens überqueren zu lassen. Obwohl er es damals noch nicht wusste, sollte Nikolai nie mehr den Zugang zu seiner kleinen Bergwiese finden, auf der er sich ausgeruht hatte, indem er eins wurde mit Gras und goldenem Sonnenschein. Die nun folgenden Ereignisse sollten in ihm eine unüberwindliche Barriere des Hasses errichten, die ihn von der Ekstase trennte.
    Am frühen Morgen fand Herr Watanabe Nikolai immer noch kniend im Gartenzimmer; er hatte nicht einmal gemerkt, dass der Regen aufgehört hatte und einer harschen Kälte gewichen war. Herr Watanabe schloss fürsorglich die Schiebewände und entzündete den Kohleofen, während er kopfschüttelnd etwas über die leichtsinnige Jugend vor sich hin murmelte, die für ihre Torheit letztlich würde bezahlen müssen.
    »Ich möchte Sie und Frau Shimura sprechen«, sagte Nikolai in so ruhigem Ton, dass der Fluss von Herrn Watanabes väterlichen Ermahnungen abrupt versiegte.
    Eine Stunde darauf knieten sie nach einem leichten Frühstück zu dritt um einen niedrigen Tisch mit der aufgerollten Übereignungsurkunde für das Haus und einem etwas formlos gehaltenen Dokument, in dem Nikolai niedergelegt hatte, dass er all seinen Besitz den beiden Alten zu gleichen Teilen hinterlasse. Er erklärte ihnen, dass er am Nachmittag fortmüsse und höchstwahrscheinlich nicht wiederkommen werde. Es werde Schwierigkeiten geben; Fremde würden kommen, Fragen stellen und ihnen ein paar Tage lang das Leben schwermachen; danach jedoch werde sich wohl niemand mehr um den kleinen Haushalt kümmern. Nennenswerte Geldsummen besaß Nikolai nicht, da er den größten Teil seines Einkommens sofort auszugeben pflegte. Was er hatte, lag in ein Tuch gewickelt auf dem Tisch. Wenn Herr Watanabe und Frau Shimura nicht genug verdienen könnten, um das Haus zu unterhalten, erklärte er, so seien sie berechtigt, es zu verkaufen und den Erlös nach Belieben zu verwenden. Es war Frau Shimura, die darauf bestand, einen Teil als Mitgift für die Tanaka-Schwestern beiseitezulegen.
    Als alles geregelt war, tranken sie gemeinsam Tee und unterhielten sich über geschäftliche Einzelheiten. Nikolai hatte gehofft, der Last des Schweigens ausweichen zu können, doch bald waren die wenigen Themen erschöpft, und es gab nichts mehr zu sagen.
    Ein kulturbedingter Fehler der Japaner ist ihr Unbehagen selbst beim aufrichtigen Ausdruck von Emotionen. Manche neigen dazu, ihre Gefühle mit stoischem Schweigen zu kaschieren oder sie hinter einer Barriere höflicher Floskeln zu verstecken. Andere suchen Zuflucht in emotionalem Überschwang, in übersteigerter Dankbarkeit und Besorgnis.
    Es war Frau Shimura, die Halt im Schweigen suchte, während Herr Watanabe hemmungslos weinte.
    Die vier Wachen bauten sich mit den gleichen übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen wie am Tag zuvor zu beiden Seiten der Tür des kleinen Sprechzimmers auf. Die Japaner wirkten nervös und verlegen; der amerikanische Militärpolizist gähnte gelangweilt; und der untersetzte Russe schien zu träumen, was er in Wirklichkeit sicher nicht tat. Zu Beginn seines Gesprächs mit Kishikawa-san testete Nikolai die Wachen, indem er zuerst Japanisch sprach. Er merkte gleich, dass der Amerikaner kein Wort verstand, bei dem Russen jedoch war er sich nicht ganz so sicher, deshalb machte er eine völlig sinnlose Bemerkung und entdeckte ein ganz leichtes Stirnrunzeln. Als Nikolai zu Französisch überging und die Japaner augenscheinlich nichts mehr verstanden, der Russe hingegen nach wie vor aufzumerken schien, war er überzeugt, dass es sich bei diesem Mann trotz seiner scheinbaren intellektuellen Unbeweglichkeit nicht um einen gemeinen Soldaten handelte.

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