Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen
verstummte. Abby hatte ihre Arbeit beendet und warf das nasse, schmutzige Geschirrtuch in die Spüle. »Und wie geht es
dir
? Die ganze Situation ist sicher nicht leicht für dich.«
»Ich bewege mich, also muss ich wohl noch am Leben sein«, wiederholte sie seine Worte.
Ihr Vater lachte leise.
»Wie geht’s Charlene?«, fragte sie, obwohl sie mit ihrer Stiefmutter nie richtig warm geworden war, einer eitlen Frau, die auf die sechzig zuging, aussah wie fünfzig und behauptete, »Ende vierzig« zu sein. Was die Natur ihr versagt hatte, ließ sie von Schönheitschirurgen richten – was nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn sie dazu gestanden hätte. Aber das tat sie nicht.
»Ihr geht’s gut. Immer beschäftigt«, sagte Abbys Vater, und seine Stimme wurde lebhaft vor Hoffnung. »Sobald der Arzt mir grünes Licht gibt, holt sie mich nach Hause.«
Der Kloß in Abbys Kehle war wieder da. »Und wann ist das?«
»Oh, schon bald, glaube ich.«
Es war gelogen. Sie wussten es beide. Doch Abby wollte ihren Vater jetzt nicht mit der Wahrheit konfrontieren. Sollte er sich ruhig an die vergebliche Hoffnung klammern, dass er nach Hause zurückkehren und mit seiner Frau in dem weitläufigen Haus auf dem großen Grundstück in Shreveport wohnen würde.
Vielleicht bestand doch noch eine Chance, dass er wieder ganz gesund wurde. Während Abby darüber nachdachte, kämpfte sie die Tränen nieder.
»Tja, ich wollte nur hören, wie es dir geht, Schätzchen. Lass es mich wissen, wenn du etwas brauchst, ja?«
»Klar, Dad. Du auch.«
»Und gib mir Bescheid wegen des Begräbnisses.«
»Ich bin nicht an der Organisation beteiligt. Die übernehmen vermutlich Lukes Brüder oder seine Eltern.«
»Aber sie werden dich informieren«, sagte er fest, als wären sie alle eine glückliche Familie.
»Ich werde es schon in Erfahrung bringen.«
»Gut. Pass auf dich auf, Schätzchen.«
»Mach ich. Du auch, Dad.« Deprimiert legte Abby den Hörer auf und dachte an ihre kleine zersprengte Familie. Ihr Vater lebte allein in einer Einrichtung für betreutes Wohnen und hoffte jeden Tag darauf, nach Hause zurückkehren zu dürfen, was wohl nie der Fall sein würde. Zoey wohnte in Seattle und versuchte immer noch, das Verhältnis zu ihr zu verbessern, aber aus Tausenden von Meilen Entfernung. Abby lebte hier, im Süden von Louisiana, in einem Haus, das sie bald verkaufen würde, um umziehen zu können.
Oder um weglaufen zu können, schalt ihre innere Stimme.
Sie wischte den Boden trocken und reinigte die Schränke, dann versuchte sie, den Flecken aus dem Ärmel zu entfernen. Es war unmöglich. Außerdem schmerzte die Haut oberhalb ihres Handgelenks wie verrückt. Sie ignorierte den Schmerz und ging, gefolgt von Hershey, ins Wohnzimmer. Ansel lag auf seinem Lieblingsplatz, der Sofalehne, und döste. Abby ließ sich in der Ecke des Zweiersofas nieder, und der Hund sprang zu ihr auf das Polster, ohne ihre Aufforderung abzuwarten.
Sie war im Begriff, die Labradorhündin auszuschimpfen, überlegte es sich jedoch anders und kraulte Hershey hinter den Ohren. Die Hündin legte den Kopf auf Abbys Bein,verdrehte ihre ausdrucksvollen braunen Augen in ihre Richtung und blickte Abby ins Gesicht. »Du weißt genau, wie du mich herumkriegst, wie?«, sagte Abby und lachte leise. Ansel reckte sich und gähnte, wobei er seine nadelspitzen Zähne und schwarzen Lippen zeigte.
Eigentlich geht es mir doch recht gut, dachte Abby und überlegte, wie es sein würde, beide Haustiere an die Westküste zu verpflanzen. Ihr Blick streifte den Kamin, in dem noch die Asche des letzten Feuers unter dem Rost lag.
Die Bilder von Luke.
8.
H ör dir das an«, sagte Lynn Zaroster. Sie saß hinter ihrem Schreibtisch in einem Großraumbüro, in dem Detectives und uniformierte Polizisten hin und her liefen, miteinander redeten, Akten durchsahen oder auf Computertastaturen tippten. Lynn, erst fünfundzwanzig, athletisch gebaut, mit einer kurzen schwarzen Lockenmähne und genug Idealismus ausgestattet, um die Welt aus den Angeln zu heben, drückte die Abspieltaste des Kassettenrekorders auf ihrem Schreibtisch.
Giermans Stimme dröhnte aus dem Lautsprecher » … und nun behauptet meine Ex, sie hätte alles, was sie für mich aufbewahren sollte, weggegeben, einschließlich eines Familienerbstücks – zufällig eine Pistole.«
Montoyas Eingeweide krampften sich zusammen. Er lehnte sich mit der Hüfte an Lynns Schreibtisch und hörte zu.
»Sie sagt, sie hätte alles in
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