Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen
mit dieser Geschichte abschließen. Und sobald er unter der Erde oder eingeäschert ist oder was auch immer, schlage ich vor, dass wir beide uns den einen oder anderen Cosmopolitan genehmigen, auf ihn anstoßen – und ihn, die Vergangenheit und das verdammte Kriegsbeil endgültig begraben, okay?« Sie sprach immer schneller, und ihre Stimme hatte sich um fast eine Oktave gehoben.
»Na schön.«
»Also, ich komme nach New Orleans.«
»Perfekt«, sagte Abby mit einem aufgesetzten Lächeln, »aber wir sollten über so einiges reden, bevor wir diese Drinks nehmen, okay? Auch über Mom und den Tag, an dem sie gestorben ist. Ich glaube, du weißt mehr darüber, alsdu mir je gesagt hast. Wenn du nicht mit mir zum Krankenhaus fahren willst, gut, aber wir werden darüber reden.«
»Ach, Abby …«
»Ich brauche das, Zoey«, erklärte sie und legte mit Nachdruck den Hörer auf. Sie warf ihren kaum angerührten Joghurt ins Spülbecken.
Sie hatte seit jeher das Gefühl gehabt, dass ihre Schwester und ihr Vater nicht ganz ehrlich waren, was jenen Tag betraf, hatte aber noch nie direkt danach gefragt. Sie war ganz zufrieden gewesen, eingehüllt in ihren Kokon der Unwissenheit, und sie hatte Angst gehabt vor dem, was sie erfahren würde, wenn sie sich jemals hervorwagte.
Schwester Marias Überzeugung, dass sie, Abby,
im
Krankenhaus gewesen war, als ihre Mutter in den Tod stürzte, hatte jedoch Bruchstücke von Erinnerungen zurückgebracht, die bislang verschüttet gewesen waren. Irgendetwas an ihrer Erinnerung an den Vorfall stimmte nicht – und zwar seit mehr als zwanzig Jahren.
Sie war wirklich
im
Krankenhaus gewesen. Ihr fiel unvermittelt wieder ein, dass sie die Treppen hinaufgeeilt war und beinahe eine große Nonne umgerannt hatte, die sie sogleich ermahnte, langsam zu gehen. Doch Abby hatte nicht auf die Frau mit der strengen Miene und der raschelnden schwarzen Tracht gehört. Sie war an ihr vorbei und die letzte Treppe hinaufgerannt, zielstrebig in Richtung Zimmer 207 …
Danach setzte ihre Erinnerung aus.
Abby schloss die Augen und versuchte heraufzubeschwören, was damals passiert war. Warum nur sah sie den zerschmetterten Körper ihrer Mutter auf dem Beton liegen? Kopfschmerzen kündigten sich plötzlich an, pochten, warnten sie, dass ihr das, was sie erfahren würde, bestimmt nicht gefiele. Trotzdem kämpfte sie um die Erinnerung. Sie stütztesich auf die Arbeitsplatte und zwang ihre Gedanken, in die Vergangenheit zurückzuwandern. Wenn sie beim Sturz ihrer Mutter nicht gerade erst aus dem Wagen gestiegen, sondern bereits auf der Treppe im Krankenhaus gewesen war, dann hatte nicht nur ihr Gedächtnis sie im Stich gelassen, sondern auch ihre Familie. Ihr Vater. Ihre Schwester.
Es war an der Zeit, den Selbstschutz aufzugeben, die Lügen, den Betrug. Die Schuld Schicht für Schicht abzutragen.
Zoey würde ihr dabei helfen, ob sie nun wollte oder nicht.
Der Abend hatte ihn nicht weitergebracht. Montoya hatte seine Zeit damit vergeudet, mit den Studenten zu reden, die an der Trauerfeier teilgenommen hatten, und Courtney LaBelles Freunde zu überprüfen. Dann hatte er Father Anthony ein paar Minuten lang aufhalten können, bevor der Priester weitermusste – versessen darauf, Courtney LaBelles Familie zu trösten. Doch Montoya mochte ihn nicht. Father Anthony Mediera war aalglatt, nach außen hin zu ruhig, zu perfekt für Montoyas Geschmack.
Später war Montoya zu Nia Pennes Wohnung gefahren und hatte sie dort mit ihrem neuen Freund angetroffen. Zierlich, beinahe elfengleich, mit einem von weißblondem, stufig geschnittenem Haar umrahmten Gesicht, das Montoya an Tinkerbell erinnerte, hatte sie höflich ein paar Fragen beantwortet, war aber nicht von ihrer Geschichte abgewichen. Montoya registrierte, dass der neue Mann in ihrem Leben tatsächlich einen Körper wie eine griechische Skulptur besaß und größtenteils stumm blieb.
Der Freund stand mit vor der Brust verschränkten Armen am Kamin, in dem ein elektrisches Feuer glühte. Er hieß Roy North, trug Schuhgröße zwölf, und Montoya war entschlossen, ihn zu überprüfen. Roys Revierschutzverhalten,seine auf Muskelkraft und Testosteron gestützte Wut gaben Montoya zu denken. Außerdem war er in der vergangenen Woche nicht mit Nia und ihren Freunden in Toronto gewesen.
Was Nia betraf, war sie nicht unbedingt die trauernde Exfreundin. Vielmehr grinste sie, als Montoyas Blick auf die überall im Wohnzimmer herumstehenden Kisten fiel, und erzählte, dass
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