Shkarr (German Edition)
schüttelte nur den Kopf. Unwillkürlich war ihm bei Cids Erzählung kalt geworden. In einem anonymen Bericht über das Schicksal eines Menschen zu lesen verschaffte die notwendige Distanz, um alles sachlich zu betrachten. Aber diesem Menschen zu begegnen und aus seinem Mund die schicksalsfügenden Ereignisse zu hören, riss jegliche künstlich errichtete Sachlichkeit nieder. Krischan zog sich langsam an und bemerkte, dass seine Sachen jetzt wohlig warm waren.
Cid nickte mit dem Kopf, anscheinend um sich selbst zu bestätigen und fuhr fort: „Ich tat meine Arbeit wie immer. Es gab nichts, was auf etwas Besonderes hingewiesen hätte. Seit einigen Tagen verweigerten die Kanarras die Nahrung, sie zeigten sich lethargisch und wir fürchteten um ihr Leben, wie es in einigen Labors schon zuvor passiert war.“
„Es gab noch mehr von diesen Labors?“, rief Krischan aus.
Cid nickte. „Ja, mehr als du glaubst. Nur unseres in Old-Virginia erlangte so etwas Ähnliches wie Berühmtheit. Wenn auch nur in den Akten und weniger in der Öffentlichkeit.“
Shkarr wanderte unruhig auf und ab. Immer wieder schweifte sein Blick zum Horizont, an dem sich endlos der dichte Urwald entlangzog. Egal was er tat, nichts beschäftigte ihn länger als Sekunden. Mittlerweile ähnelte sein Nervenkostüm einer kleinen Bombe, die jederzeit hochgehen konnte. Ohne Grund hatte er heute Morgen Menrisch angefahren und ihn buchstäblich davongejagt. Es tat ihm zwar im selben Moment leid, als er dessen Schwanz zwischen den Baumwipfeln entschwinden sah, aber er sah sich auch außerstande, den Kater wieder zurückzurufen. Menrisch schien aber im Gegenteil recht froh darüber zu sein, sich Shkarrs gereiztem und streitbarem Wesen entziehen zu dürfen. Shkarr hörte nur noch ein ‚Kein Problem’ von Menrisch. Offenbar hatte dieser kein nachtragendes Wesen.
Shkarr schüttelte sein silberfarbenes Fell und setzte sich für einige Augenblicke hin.
Was war nur mit ihm los? Er verstand sich selbst nicht mehr. Wieder fixierte er den Horizont, als schien dieser die Antwort parat zu haben. Am liebsten hätte Shkarr aufgeheult, hielt sich jedoch zurück. Endlich vermochte er die unbändige Kraft, die ihn in Bewegung versetzen wollte, nicht mehr standzuhalten und verschaffte ihr ein angemessenes Ventil. Mit mehr Schwung als notwendig lief, sprang und rannte er über die Bäume; kaum dass er deren Äste berührte, war er schon wieder auf dem nächsten. Etwas außer Atem hielt er einige Kilometer von seinem Schlafbaum entfernt an. Es war zum Haare ausraufen! Es spielte keine Rolle, was er tat. Nichts brachte ihm die Ruhe, die er benötigte.
Seine Gereiztheit war nur ein Symptom. Seit einigen Tagen mochte er kaum noch etwas essen und verzog meist nur angewidert die Lefzen. Shkarr brach zusammen und wäre beinahe hinuntergefallen. Ihm war wirklich nicht gut. Fast bemitleidete er sich ein wenig selbst. Aber dieses Gefühl schmeckte ihm noch sehr viel weniger. Er wusste nicht, was er brauchte. Er wusste nur, dass es nicht hier war. Nicht in seiner Umgebung, nicht bei seinen Freunden, nicht bei seinen Jagdgenossen. Er fand es nirgendwo. Er wusste noch nicht einmal, was ES überhaupt war. Shkarr hatte alles heraufgekramt aus seinen Erinnerungen, dessen er habhaft werden konnte. Doch auch ein Blick in seine Vergangenheit war nicht erhellend gewesen. Ob Krischan gewusst hätte, was ihm fehlte?
Shkarr schnurrte brummig. Wahrscheinlich auch nicht. Woher hätte der Mensch wissen sollen, was ihn derart aus der Fassung brachte, sodass er niemanden um sich herum ertragen konnte einschließlich seiner eigenen Person?
Leise raschelte es in seiner Nähe und Shkarr erkannte Menrisch, der sich ihm vorsichtig näherte. ‚Soll ich es dir sagen?’
Shkarr erhob sich und begrüßte den anderen, wobei er gleichzeitig eine Entschuldigung einwob. Menrisch ließ es sich gefallen und schob sich geschmeidig an den silberfarbenen Kater.
‚Du gehörst immer noch keiner Familie an’, erhob er seine Stimme in einem lockeren Plauderton, der jedoch die Schwere seines Satzes nicht wirklich überdecken konnte. ‚Du hast dich mit niemandem hier verbunden und du bist schon weit über die Zeit. Aber das ist nicht dein Problem. Es reicht eigentlich, wenn man einer Familie angehört. Doch wenn du dich schon mal mit jemandem verbunden hast, dann kannst du nicht mehr allein sein. Irgendwann zieht es dich zu einer Bindungspartnerin, entweder deiner früheren oder einer, die du ins Auge gefasst
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