Shkarr (German Edition)
hoheitlich. Ich war ganz schön verdattert. ‚Die Nachtschicht kommt, deine Zeit ist um.’ Damit rollte er sich zusammen und zeigte mir nur noch seinen Rücken. Er behielt recht. Die Ablösung erwischte mich dabei, wie ich noch immer auf den Käfig starrte, und fragte mich, was ich denn so den ganzen Tag getrieben hätte. Nichts wäre erledigt, ob ich vielleicht geschlafen hätte, und so weiter in dieser Tour. Ich hatte natürlich keine Entschuldigung. Ich machte dann meine Arbeit noch nach, aber den Kanarra hörte ich den ganzen restlichen Tag nicht mehr.“
Shkarr wanderte ziellos umher. Zu Anfang schien es das Klügste zu sein, sich von den anderen zu trennen. Auch wenn Menrisch dies nicht verstand, so war es doch das, was er suchte. Ein wenig Zeit, ohne die Gedanken anderer Rirasch. Doch jetzt hegte er Zweifel. Zum einen hielt er sich noch lange nicht für fähig, für sich selbst versorgen zu können. Bis jetzt bekam er immer noch einen Anteil von seiner Pflegefamilie. Zum anderen verhielt er sich in seinen Augen absolut widersprüchlich. Auf der einen Seite hatte er sich nach Hause gesehnt, zu seinesgleichen; welche, die so waren wie er. Jetzt war er hier und er sehnte sich danach, allein zu sein. Aber anscheinend stimmte das auch nicht, wenn er Menrisch richtig verstanden hatte. Er sehnte sich nach einer Bindung. Aber war er nicht eigentlich schon gebunden? Der SkarraSHrá hatte seine telepathische Bindung doch nicht zerstört, wie er betont hatte. Warum also spielte er dann so verrückt? Gerome hatte aber auch gesagt, dass es Schwierigkeiten geben könnte, wenn er die Trennung nicht endgültig vollzog. Genaueres wusste er nicht zu sagen und so war es nur bei dieser Warnung geblieben. Jetzt hatte er die Schwierigkeiten und es war zum aus der Haut fahren.
Egal, wie viel er lief, egal wohin er ging, nichts brachte Erleichterung. Meist schlief er irgendwo erschöpft ein, fraß wahllos und lief dann weiter. Er benahm sich fast so wie die Zurückgekehrten, von denen er immer wieder Geschichten gehört hatte. Auch sie waren unruhig, zu keinem Kontakt mehr fähig und litten doch darunter.
Shkarr wollte aber nicht leiden und weigerte sich hartnäckig, auch nur ein wenig zuzugeben, dass er sich auf dem Weg in die Einsamkeit befand. Die telepathischen Stimmen in seinem Kopf wurden weniger und blieben manchmal ganz aus. Er durchstreifte, bewusst oder unbewusst, Gebiete, die kaum von Familien bewohnt wurden. Immer wieder gelangte er an einen Punkt, an dem er sich sagte, dass es nichts brachte weiterzulaufen, und doch lief er am nächsten Tag weiter, ohne sich zu fragen, wohin ihn dieser Weg führte. Die wenigen Rirasch, denen er begegnete, wichen ihm aus. Shkarr begriff bald, um was für Rirasch es sich dabei handelte. Es waren die Zurückgekehrten, deren Wege er kreuzte. Meist flohen sie vor ihm mit schreckgeweiteten Augen oder irren, paranoiden Gedanken, so schnell ihre Pfoten sie zu tragen vermochten. Es war frustrierend. Nein, so wollte er nicht werden.
„Wie spät ist es? Ich habe irgendwie mein Zeitgefühl verloren“, fragte Cid nach.
Krischan sah auf den Planer. „Zwei Uhr“, meldete er.
„Gut, bleiben wir noch ein wenig hier. Spätestens um drei werden wir hier verschwinden. Du wirst dir vorstellen, das war nicht die einzige Begegnung mit Kesz gewesen. Der nächste Tag war der Schlimmste. Das Labor war voller Menschen. Die Kanarras wurden von einem Käfig in den anderen gejagt. Man piesackte sie mit allerlei Sachen, rasierte ihnen das Fell ab, um Implantate einzusetzen oder man schmierte sie mit irgendwelchem Zeugs ein und wartete auf eine Reaktion. An diesem Morgen starb einer der Kanarras, ein Junges. Ein Weibchen schrie auf und schmiss sich gegen die Stäbe. Ich sah noch, wie sie mit heraushängender Zunge an den Stäben hinabglitt und ihr Körper aufgrund der elektrischen Schläge zuckte. Ich sah Kesz an und er erwiderte meinen Blick, dann drehte er mir den Rücken zu. Ich ließ mich an diesem Tag für die Nachtschicht einschreiben und wollte sofort eine 24h-Schicht machen. Der Leiter war hocherfreut, da er sowieso Schwierigkeiten hatte, Leute für die Nacht zu finden. Ich erzählte ihm von Zeitproblemen hinsichtlich meiner Doktorarbeit. Ihm war es egal. Als endlich Ruhe in dieses Irrenhaus einkehrte, war ich erleichtert. Ich hatte es noch nie so gesehen. Doch mir war, als hätte Kesz mir gezeigt, was Tag für Tag vor meiner Nase abgelaufen war und was ich trotzdem nicht wahrgenommen
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