Shkarr (German Edition)
drehte oder wendete. Sie waren auf meine Hilfe angewiesen und ich denke, dass Kesz darauf gehofft hatte, jemanden zu finden, dessen Geist er erreichen konnte. Warum gerade meinen, ist mir schleierhaft. Alle anderen Telepathen drehten kleine Papierkügelchen und bewarfen damit ihre Halluzinationen. Aber bei mir geschah nichts dergleichen.“
Krischan rutschte ein wenig näher an Cid und das Feuer heran. Die Nacht eroberte mit ihrer Kälte langsam wieder die Hallen ihrer Zuflucht. „Es ist dir gelungen, das weiß ich. Das Harusch griff ein und die Kanarras wurden zurückgebracht.“
„Ja, aber in welch erbärmlichem Zustand.“
Krischan nickte. Er erinnerte sich an die Bilder. Doch fühlte er sich kaum noch in der Lage, noch mehr zu fühlen und so schien eine seltsame Distanz zwischen dem damals empfundenen Ekel und Schrecken und dem Heute zu sein. „Was passierte mit Kesz? Ging er auch zurück?“
„Du verstehst es, deinen Finger auf die Wunde zu legen!“, erwiderte Cid bitter. Er sah Krischan an.
„Er kam nicht zurück!“, interpretierte Krischan Cids Miene.
„Er starb, bevor ich das Harusch erreichen konnte und bevor ich gefeuert wurde. Er war der Stärkste von allen, deshalb war er sehr begehrt. Ich sah, wie er schwächer wurde und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Innerhalb von vier Tagen war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Ich spürte es, jeden Schmerz, den sie ihm zufügten, fühlte ich in mir und dabei versuchte er noch zu verhindern, dass ich alles mitbekam. Man muss sich das vorstellen: Er beschützte mich! Doch ich erinnerte mich daran, wie viele schon vor ihm gelitten hatten und wenn alle mehr oder weniger das fühlten, was der andere fühlte ... Das pure Grauen. Ich verstand nicht, warum er das tat, bis mir einer der Kanarras erklärte, ich sei sein Bindungspartner. Seine Partnerin war einige Wochen zuvor schon gestorben. Ich hatte ihren Platz eingenommen, wenn auch ohne meine Zustimmung. Ich denke, der Kanarra meinte seine Frau. Am besten nicht darüber nachdenken. Bevor er starb, bat er mich, dass ich mich um sein Junges kümmern sollte. Ich sollte es rausschaffen, ihm dasselbe Schicksal ersparen.
Dann ging alles sehr schnell. Kesz starb in meiner Nachtschicht und ich fühlte jede Phase davon. Es war, als würde ich mitsterben. Am nächsten Morgen kam dann die erlösende Nachricht: Das Harusch fragte wegen der entführten Kanarras an. Man erwog, alle Zeugen umzubringen. Ich meine nicht die Menschen damit. Es gab ein Drunter und Drüber. Dokumente und Dateien wurden vernichtet. Die schwächsten Kanarras getötet. Menschen wurden an andere Stellen auf unbestimmte Zeit ‚ausgeliehen’. Mein Kündigungsschreiben erhielt ich an diesem Tag. Man teilte mir mit, dass mein Verhalten nicht akzeptabel sei. Meine Beschwerde über die Haltung der Tiere wäre schlicht falsch. Keines davon hätte je gelitten und meine Aussage sei einfach eine Lüge. Ich sollte daher meinen Schreibtisch räumen und gehen. Ich fühlte mich geistig und seelisch wie amputiert und vermochte mich kaum zu wehren. Doch ich musste an das Versprechen denken und fragte einen Freund, ob er mir helfen könnte. Er sollte noch länger dableiben, etwa eine Woche. Er hielt mich für verrückt, aber dennoch machte er das, um was ich ihn bat. Er schaffte das Junge fort. Wie ich später erfuhr, keine Minute zu spät. Alle Jungen und alle kräftigen Exemplare waren getötet worden. Einige Alte lebten noch.
Mein Freund, der mit mir den jungen Kanarra rausschaffte, schwieg, als man ihn befragte. Auch mir gegenüber sagte er nichts! Er verriet mit keiner Silbe, wohin er Kesz’ Junges gebracht hatte. „Solange ich schweige“, sagte er, „werden die es nicht bekommen. Die Schweine haben ein Blutbad angerichtet. Ich habe mich jahrelang um sie gekümmert. Ja, natürlich Forschung und Experimente. Damit konnte ich noch einigermaßen leben. Doch was sie jetzt getan haben, ist Mord, Johnson. Es ist Mord!“ Danach sah ich ihn nicht wieder. Wie er ging auch ich ins Gefängnis für die Verbrechen, die wir im Namen der Wissenschaft begangen hatten. Wir waren nicht die Einzigen, aber die Letzten, die man entließ.“
***
Früh am Morgen und völlig übernächtigt erreichten Krischan und Cid ihr Versteck. Sie waren beide müde, aber aufgewühlt. Erst als die Sonne am Horizont ihre Strahlen entsandte, fielen ihnen die Augen zu.
Krischan hatte von Kesz und seinem Sohn Shkarr geträumt. Er hatte gewusst, von wem Cid gesprochen
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