Shoal 01 - Lichtkrieg
hinterher; bei der obersten Sprosse war er völlig außer Atem. Als er sich in den Korridor hievte, sah er nur noch Malas Rücken, die sich im Sturmschritt von ihm entfernte.
»He!«, rief er abermals und fing an zu rennen. Doch sie hastete einfach weiter, als hätte sie seine Rufe nicht gehört.
Als er sie einholte, packte er sie beim Arm und riss sie herum. Sie blinzelte überrascht und sie brauchte mehrere Augenblicke, um ihren Verfolger zu erkennen.
»Was ist? Was ist los?« Sie klang aufgeregt.
»Wo haben Sie gesteckt?« Corso schnappte nach Luft. »Ich hörte, wie sich die Luke zur Luftschleuse verriegelte … sagen Sie bloß, Sie haben das Schiff verlassen!«
Mala starrte ihn an, als hätte sie es mit einem Irren zu tun. »Nein, ich war die ganze Zeit über hier. Vor unserem Abflug musste ich die manuellen Systeme prüfen.«
»Mala, ich habe genau gehört, wie sich die Luke geschlossen hat. Das heißt, dass jemand von draußen an Bord kam, und Sie sind die einzige Person, die sich überhaupt in der Nähe der Luftschleusen befunden hat. Wenn Sie die Schleuse nicht benutzt haben, wer dann?«
Sie schüttelte den Kopf, als hätte sie keine Lust mehr, mit ihm zu reden. »Wissen Sie was, Lucas, Sie werden allmählich paranoid. Ich war auf gar keinen Fall draußen. Kontrollieren Sie doch die Bordaufzeichnungen, wenn Sie es ganz genau wissen wollen.«
Er nahm sie beim Wort; was er bei dieser Prüfung feststellte, war frustrierend – und besorgniserregend.
Die Sicherheitslogs enthielten seine letzte Begegnung mit Mala, aber mehr auch nicht. Er fand keinen einzigen Hinweis darauf, dass jemand anders außer Arbenz die Hyperion während der vergangenen Tage verlassen oder betreten hatte. Man sah ganz deutlich Mala, wie sie von ihrem Quartier aus direkt zu den im Heck untergebrachten Triebwerken marschierte und dabei an den Luftschleusen vorbeikam. Drei weitere Passagiere des Schiffs kamen für einen Ein- bzw. Ausstieg nicht in Frage, nachdem Udo in der Krankenstation im chemisch induzierten Koma lag.
Aber er war sich hundertprozentig sicher, den in Betrieb befindlichen Luftschleusenmechanismus gehört zu haben, egal, welche Informationen die Sicherheitsaufzeichnungen boten. Wahrnehmungen dieser Art bildete man sich nicht ein.
Irgendetwas stimmte hier ganz entschieden nicht. Er überlegte, ob es möglich war, die Eintragungen ins Log zu fälschen. Nachdem er sich den Kopf zermartert hatte, um auf eine plausible Lösung für das Phänomen zu kommen, fragte er sich, ob er nicht tatsächlich dabei war, aus schierem Stress Gespenster zu sehen. Vielleicht stand er wirklich kurz vor dem Durchdrehen, und seine überreizte Fantasie gaukelte ihm Dinge vor, die in der Realität gar nicht existierten. Möglicherweise litt er an akustischen Wahnvorstellungen.
Dann verwarf er diesen Gedanken wieder, sein rationaler Verstand gewann die Oberhand. Er spielte mit dem Gedanken, sich an Arbenz zu wenden und ihm den Vorfall mitzuteilen. Doch gleich darauf besann er sich anders. Er wollte keine neuen Zweifel bezüglich Malas Integrität in die Welt setzen. Diese Frau war nicht sein wahrer Feind. Mala Oorthaus konnte nichts dafür, dass seine Familie Repressalien erleiden musste; und zu seiner Beschämung gestand er sich ein, dass er mit dazu beigetragen hatte, Malas Schicksal zu besiegeln. Denn dass es Mala irgendwann einmal, wenn man ihrer nicht mehr bedurfte, sehr schlecht ergehen würde, stand für ihn fest. Im Grunde war er nicht besser als Senator Arbenz.
Gewiss, diese Frau hatte etwas Sonderbares an sich, aber die Gemeinschaft der Freistaatler setzte dem Kontakt zwischen Männern und Frauen strenge Grenzen, jede soziale Interaktion folgte bestimmten, einengenden Ritualen, die man sich zu übertreten hütete. Möglicherweise fand er Mala, die ihm vorkam wie der Inbegriff einer selbstbewussten, emanzipierten Frau, gerade deshalb so anziehend, weil sie sich keinen Normen fügte, in keines der Schemata, die er von seiner Heimat her kannte, zu passen schien.
Ihre offensichtliche Angst, Arbenz könnte ihr Dinge verheimlichen, die für sie wichtig waren, hatte Corso für seine und Malas Rolle bei diesem Unterfangen sensibilisiert; beide waren nur so lange von Bedeutung, wie man sich ihrer Kenntnisse auf gewissen Fachgebieten bedienen konnte. Und sowie Arbenz und Gardner erreicht hätten, was sie anstrebten, würden nicht nur Mala, sondern auch er selbst zu lästigen Zeugen eines Verbrechens, das allerdings erst noch begangen
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