Shogun
zufrieden mit dem, was er sehen konnte, erhob er sich vom Tisch und humpelte unter Schmerzen an das Backbordbullauge heran.
»Was gibt es denn, Rodrigues?«
»Mir war, als ob die Gezeiten umschlügen. Wollte bloß nachsehen, wieviel Spielraum zum Manövrieren wir haben.« Er machte das Bullauge weiter auf und lehnte sich hinaus, konnte jedoch den Buganker immer noch nicht erkennen. »Entschuldigt mich einen Moment, Pater.«
Er stieg an Deck. Das Wasser fuhr leise glucksend um die Ankerkette, die in das schmutzige Wasser hinabführte. Keine Bewegung. Dann zeigte sich eine Andeutung von einem Kielwasser, und das Schiff begann nachzugeben, sich der Ebbe anzupassen und seinen neuen Liegeplatz zu finden. Er überzeugte sich, daß es richtig lag, dann inspizierte er den Ausguck. Alles war in Ordnung. Andere Schiffe waren nicht in der Nähe. Sie lagen rund ein Kabel vom Ufer entfernt, weit genug, um jeden überraschenden Überfall rechtzeitig zu bemerken, und auch weit genug von den Fahrrinnen entfernt, auf denen die Schiffe verkehrten.
Bei der Santa Filipa handelte es sich um eine Lorcha. Sie hatte also einen japanischen Rumpf und war mit modernen portugiesischen Segeln ausgestattet: ein Zweimaster mit der Takelage einer Schaluppe. Mittschiffs war sie mit vier Kanonen bestückt, und außerdem mit je zwei kleinen Bug- und Heckgeschützen. Sie hatte eine Besatzung von dreißig Mann. Sein Blick ging zur Stadt hinüber und über sie hinweg zu den Bergen. Dann ging er wieder nach unten.
»Na, alles in Ordnung?« fragte Alvito, als der Pilot die Kammer betrat. Er war jetzt gesättigt.
»Ja. Die Tide ist nur umgeschlagen. Wie sieht's denn jetzt aus, Pater? Stechen wir bei Sonnenaufgang in See?«
»Was machen die Brieftauben?«
»Sie sind gesund und munter. Wir haben noch sechs – vier für Nagasaki, und zwei für Osaka.«
Der Priester sah nach dem Sonnenstand. Vier oder fünf Stunden bis Sonnenuntergang. Reichlich Zeit also, die Tauben mit den ersten verschlüsselten Botschaften abzuschicken, die er schon längst vorbereitet hatte: »Toranaga unterwirft sich Befehlen des Regentschaftsrats. Gehe erst nach Yedo, dann nach Osaka. Werde Toranaga nach Osaka begleiten. Sagt, können Kathedrale in Yedo trotzdem bauen. Eingehender Bericht folgt mit Rodrigues.«
»Würdet Ihr bitte dem Taubenmeister sagen, er solle sofort zwei für Nagasaki und eine für Osaka vorbereiten?« sagte Alvito. »Dann können wir uns unterhalten. Ich werde nicht mit Euch zurücksegeln. Ich reise weiter nach Yedo, und zwar über Land. Ich brauche nur den größten Teil der Nacht und vielleicht morgen noch, um einen eingehenden Bericht zu schreiben, den Ihr bitte dem Pater Visitator übergeben wollt, aber nur ihm allein. Werdet Ihr in See stechen, sobald ich fertig bin?«
»Gern. Wenn es allerdings zu kurz vor Sonnenuntergang ist, werde ich bis zum Morgen warten. Man muß hier auf Untiefen und wandernde Sandbänke gefaßt sein.«
Alvito erklärte sich einverstanden. Die zwölf Stunden würden auch nichts ausmachen. Er wußte, daß es weit besser gewesen wäre, er hätte die Neuigkeiten gleich von Yokosé aus vermelden können. Gott verfluch den Heidenteufel, der mir dort meine Tauben umgebracht hat! Üb dich in Geduld, sagte er sich. Wozu die Eile? Wer abwarten kann, erreicht alles. Was bedeuten schon zwölf Stunden? Die verändern den Lauf der Geschichte auch nicht. Jedenfalls sind in Yokosé die Würfel gefallen.
»Ihr reist also mit dem Ingeles?« fragte Rodrigues. »Wie die letzten Tage auch?«
»Ja. Von Yedo werde ich allerdings allein nach Osaka zurückkehren. Ich werde mich Toranaga anschließen. Ich hätte gern, daß Ihr in Osaka mit einer Kopie meines Berichts Zwischenstation macht, falls der Pater Visitator dort ist oder Nagasaki verlassen hat, ehe Ihr dort eintrefft, oder er sich auf dem Weg dorthin befindet. Ihr könnt sie seinem Sekretär, Pater Soldi übergeben. Aber nur ihm allein – niemand anderem.«
»Gut. Ich bin froh, daß ich in See stechen kann. Wir werden hier zu sehr gehaßt.«
»Mit Gottes Hilfe werden wir all das ändern, Rodrigues. Mit Gottes Hilfe werden wir alle diese Heiden hier bekehren.«
»Dazu sag' ich: Amen! Ja.« Der großgewachsene Mann nahm das Gewicht von seinem Bein, und für einen Augenblick war der Schmerz nicht ganz so groß. Er starrte zum Fenster hinaus. Dann stand er ungeduldig auf. »Ich werde die Tauben selbst holen. Schreibt Ihr Euren Bericht, hinterher können wir uns unterhalten. Über den
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