Shogun
Er ist schon seit zwei Tagen hier und hat immer noch nicht mit Herrn Toranaga gesprochen.«
»Aber es ist überaus wichtig, Mariko-chan. Ich dachte, er hätte begriffen, daß jeder Tag von größter Bedeutung ist. Gibt es denn keine Möglichkeit, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen?«
»Aber ja, Anjin-san. Ihr braucht bloß zu schreiben. Wenn Ihr mir sagt, was, könnte ich es für Euch aufschreiben. Jeder muß schriftlich um Audienz nachsuchen, so lauten seine augenblicklichen Befehle.«
»Dann bittet ihn um eine Unterredung. Ich wäre Euch sehr dankbar …«
»Das macht keine Umstände. Es ist mir ein Vergnügen.«
»Wo habt Ihr gesteckt? Ich habe Euch schon vier Tage lang nicht gesehen.«
»Bitte, verzeiht mir, aber ich habe so viele Dinge zu erledigen. Es ist … es ist ein wenig schwierig für mich, es gibt so vieles, was ich vorbereiten muß …«
»Was geht hier denn vor? Die ganze Burg ist wie ein Bienenvolk vor dem Ausschwärmen … schon seit einer Woche.«
»Oh, tut mir leid, aber es ist alles in Ordnung, Anjin-san.«
»Ist es das wirklich? Ein General und einer der höchsten Verwaltungsbeamten begehen im Vorhof des Bergfrieds Seppuku. Ist das üblich? Herr Toranaga schließt sich in seinem Elfenbeinturm ein und läßt die Menschen ohne ersichtlichen Grund warten … ist auch das üblich? Was ist denn mit Herrn Hiro-matsu?«
»Herr Toranaga ist unser Gebieter. Was immer er tut, ist wohlgetan.«
»Wann reist Ihr nach Osaka ab?«
»Das weiß ich nicht. Eigentlich hätte ich schon vor drei Tagen aufbrechen sollen, aber Herr Toranaga hat meinen Paß noch nicht unterzeichnet. Ich habe alle Vorbereitungen getroffen und reiche jeden Tag meine Reisepapiere zur Unterschrift bei seinem Sekretär ein, doch bekomme ich sie immer zurück mit dem Vermerk: ›Reicht sie morgen wieder ein!‹«
»Ich dachte, ich sollte Euch mit dem Schiff hinbringen?«
»Ja, ja. Aber … nun, Anjin-san, bei unserem Gebieter kann man nie wissen. Er ändert seine Pläne dauernd.«
»Ist er immer so gewesen?«
»Ja und nein. Seit Yokosé ist er – wie sagt Ihr? – mit Melancholie erfüllt, neh? Ja, mit Melancholie. Und ist ganz anders als sonst.«
»Seit der Ersten Brücke seid Ihr voller Melancholie und ganz anders. Ja, Ihr habt Euch sehr verändert.«
»Die Erste Brücke war ein Ende und ein Anfang, Anjin-san, und unser Versprechen gilt, neh?«
»Ja, bitte, verzeiht mir.«
Traurig hatte sie sich verneigt und war gegangen, und dann, als sie ein, zwei Schritte fort war, hatte sie geflüstert: »Er …« Und das Wort hatte noch lange in der Luft gehangen – wie ihr Parfüm.
Beim Abendessen hatte er versucht, Fujiko auszufragen. Aber auch sie wußte nichts von Bedeutung.
Erbost ging er ins Bett. Er war außer sich vor Enttäuschung über die Verzögerungen und die Nächte ohne Mariko. Es war schlimm, stets das Bewußtsein zu haben, daß sie so nahe war, daß Buntaro die Stadt verlassen hatte – und jetzt noch besonders wegen dieses ›Er …‹ Jetzt wußte er, daß ihr Verlangen genauso heftig brannte wie seines.
Vor ein paar Tagen war er unter irgendeinem Vorwand zu ihrem Haus gegangen. Der Samurai, der davor Wache stand, sagte ihm, es tue ihm leid, aber sie sei nicht daheim.
Die See lockte ihn. Es war mehr das Rund des Horizonts als die Tiefe des Wassers, das Bedürfnis, sich vom Wind durchpusten zu lassen, die Augen zukneifen zu müssen, weil er so stark wehte; er wollte das Salz darin schmecken, wieder fühlen, wie das Deck unter ihm sich hob und senkte und Sparren und Fallen über ihm knarrten und ächzten unter dem Druck der Segel, die von Zeit zu Zeit fröhlich knatterten, wenn die muntere Brise sich um ein oder zwei Strich drehte. Und mehr noch als der Horizont war es die Freiheit. Die Freiheit, bei jedem Wetter dorthin zu gehen, wonach einem der Sinn stand. Und auf seinem Achterdeck zu stehen und derjenige zu sein, der die Entscheidungen traf, genauso wie hier Toranaga.
Vom Bergfried verkündete ein Gong die halbe Stunde. Zum erstenmal dachte er im Geiste, daß dies die Mitte der Stunde des Pferdes sei und nicht acht Glasen – zwölf Uhr Mittag.
Froh, daß es an der Zeit war, die erste Mahlzeit einzunehmen, steckte er sein Wörterbuch in den Ärmel. Heute gab es Reis und gesottene Garnelen, Fischsuppe und Essiggemüse.
»Möchtet Ihr noch etwas, Anjin-san?«
»Vielen Dank, Fujiko-san. Ja. Reis, bitte. Und etwas Fisch. Gut … sehr köstlich.«
Fujiko freute sich. »Vielen Dank. Dieser
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