Shogun
Patrouillen.«
»Alle haben Angst vor ihm, bis auf uns und unsere paar Samurai, aber wir machen ihm nicht mehr Sorgen als eine Pustel auf dem Leib eines Drachen.«
»Wäre die Dame Sazuko imstande zu reisen … und das Baby, Kiri-san?«
»Ja, das könnt Ihr doch selbst sehen. Und ich auch.« Kiri seufzte tief auf. Die seelischen Strapazen, unter denen sie litt, waren jetzt auf ihrem Gesicht zu erkennen, und Mariko fiel auf, daß sie viel mehr graue Haare hatte als zuvor. »Seit ich Herrn Toranaga nach Anjiro geschrieben habe, hat sich nichts geändert. Wie die anderen sind und bleiben wir Geiseln – bis zum entscheidenden Tag.«
»Jetzt, wo auch Seine Kaiserliche Hoheit herkommt … damit wird alles unausweichlich, neh?«
»Ja. Sieht so aus. Geht und ruht Euch aus, Mariko-chan, aber eßt heute mit uns zu Abend. Dann können wir uns weiter unterhalten, neh? Ach, übrigens, eine Neuigkeit für Euch. Euer berühmter Barbaren- Hatamoto – er sei gesegnet, daß er unseren Gebieter gerettet hat, wir haben davon gehört – hat heute morgen angelegt, zusammen mit Kasigi Yabu-san.«
»Oh, ich hatte mir schon solche Sorgen um sie gemacht. Sie sind einen Tag vor mir per Schiff abgereist. Zwar sind auch wir in der Nähe von Nagoya in einen Ausläufer des Taifun geraten, aber für uns war es nicht weiter schlimm. Ich hatte Angst, auf See … Ach, da fällt mir aber ein Stein vom Herzen!«
»Hier war es auch nicht besonders schlimm, bis auf die Feuersbrünste. Viele tausend Häuser sind abgebrannt, aber es hat noch nicht einmal zweitausend Tote gegeben. Am stärksten heimgesucht war die Ostküste von Kyushu und ein Teil von Shikoku. Dort sind Zehntausende umgekommen.«
»Und die Ernte?« fragte Mariko rasch.
»Der meiste Reis liegt flachgedrückt auf dem Boden … Wenn es im Kwanto zu keinen größeren Schäden kommt, könnte es sein, daß er dieses und nächstes Jahr das ganze Reich mit Reis versorgen muß.«
»Es wäre wesentlich besser, wenn Herr Toranaga über diese Ernte wachte als Ishido. Neh?«
»Ja. Aber, verzeiht, neunzehn Tage reichen nicht, um die Ernte einzubringen.«
Mariko trank ihren Saké aus. »Ja.«
»Und Buntaro-san? Geht es ihm gut?«
»Er ist im Augenblick Kommandant von Mishima und für die Grenze dort verantwortlich. Ich habe ihn kurz gesehen. Wißt Ihr, wo Kasigi Yabu-sama abgestiegen ist? Ich habe eine Botschaft für ihn.«
»In einem der Gästehäuser. Ich werde es Euch sofort mitteilen lassen.« Kiri ließ sich noch mehr Saké nachschenken. »Vielen Dank, Mariko-chan. Ich hörte, daß der Anjin-san noch auf der Galeere weilt.«
»Er ist ein sehr interessanter Mann, Kiri-san. Und er ist unserem Gebieter mehr als nur ein wenig nützlich geworden.«
»Das habe ich gehört … Ich möchte alles über ihn erfahren und über das Erdbeben und überhaupt alles, was Ihr zu berichten habt. O ja, morgen abend gibt es einen Empfang zu Ehren des Geburtstags der Dame Ochiba. Herr Ishido gibt ihn. Selbstverständlich werdet auch Ihr eine Einladung erhalten. Soviel ich hörte, hat auch der Anjin-san eine bekommen. Die Dame Ochiba möchte gern wissen, wie er aussieht. Ihr wißt ja, daß der Erbe ihn einmal kennengelernt hat. War das nicht, als auch Ihr ihn kennenlerntet?«
»Ja. Der arme Mann. Also wird er herumgezeigt werden wie ein gefangener Wal?«
»Ja«, erwiderte Kiri gelassen. »Zusammen mit uns anderen. Wir sind alle Gefangene, Mariko-chan, ob es uns gefällt oder nicht.«
Verstohlen eilte Uraga die Gasse zum Hafen hinunter. Die Nacht war sternklar, aber dunkel, die Luft angenehm. Uraga trug das wallende orangefarbene Gewand der buddhistischen Priester, seinen unvermeidlichen Hut und billige Strohsandalen. Hinter ihm lagen die Lagerhäuser und der hochragende, fast europäisch anmutende Komplex der Jesuitenmission. Er bog um eine Ecke und beschleunigte seine Schritte. Es waren nur wenige Menschen unterwegs. Ein Trupp von Grauen mit Fackeln in den Händen patrouillierte am Strand. Höflich, wenn auch mit der Arroganz des Priesters, verlangsamte er seine Schritte. Die Samurai beachteten ihn kaum.
Unbeirrbar ging er den Strand entlang. Der laue Wind trug die Gerüche von See und Tang heran. Es war Ebbe. Über die ganze Bucht waren die Nachtfischer mit ihren Fackeln und Speeren auf der Jagd. Zweihundert Schritt weiter lagen die Piers und die muschelbewachsenen Molen. An einem der Piers war eine Lorcha der Jesuiten vertäut. An ihrem Heck flatterten die Fahnen Portugals und der
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