Shogun
Ihr habt ihn nicht bemerkt?«
»Nein, Euer Gnaden«, erwiderte Uraga, und die bösen Ahnungen stellten sich wieder ein. »Ich habe niemanden gesehen, und es ist mir auch niemand aufgefallen.«
»Er trug keine Schwerter, also war es kein Samurai. Ein Jesuit?«
»Das glaube ich nicht … das glaube ich nicht … denn ich war sehr vorsichtig. Verzeiht, daß ich ihn nicht gesehen habe.«
»Na ja.« Blackthorne wandte sich wieder Vinck zu. »Geh jetzt nach unten, Johann. Ich übernehme diese Wache und wecke dich bei Sonnenaufgang.«
»Ich habe schon angefangen, mir Euretwegen Sorgen zu machen«, sagte Blackthorne zu Uraga. »Was ist passiert?«
»Yabu-samas Bote ließ auf sich warten, Anjin-san. Hier mein Bericht: Ich ging mit Yabu-sama und wartete von Mittag bis zum Einbruch der Dunkelheit vor der Burg, als …«
»Was genau habt Ihr die ganze Zeit über gemacht?«
»Genau, Euer Gnaden? Ich suchte mir ein Plätzchen in der Nähe des Marktes, von dem aus ich die Erste Brücke im Auge behalten konnte, und dann habe ich meditiert … das ist Jesuitenpraxis, Anjin-san. Allerdings habe ich nicht über Gott meditiert, sondern über Euch und über Yabu-sama und Eure Zukunft.« Uraga lächelte. »Viele Vorübergehende haben Münzen in meine Bettelschale geworfen. Ich ruhte meinen Körper aus und ließ meinen Geist schweifen, ohne freilich die Erste Brücke aus den Augen zu lassen. Yabu-samas Bote kam bei Einbruch der Dämmerung und tat so, als betete er zusammen mit mir, bis wir ganz allein waren. Dann flüsterte er mir folgendes zu: Yabu-sama läßt bestellen, er verbringt die Nacht in der Burg, kehrt aber morgen früh zurück. Morgen abend wird in der Burg ein offizieller Empfang stattfinden, zu dem auch Ihr geladen werdet. Er wird von Herrn Ishido gegeben. Schließlich solltet Ihr ›siebzig‹ bedenken.« Uraga blinzelte ihn an.
Blackthorne nickte, sagte jedoch nicht von sich aus, daß dies eine von den vielen zwischen Yabu und ihm abgesprochenen Vorsichtsmaßnahmen war. ›Siebzig‹ bedeutete, er solle dafür sorgen, daß das Schiff zum Auslaufen bereit sei, um über See den Rückzug anzutreten. Da jedoch keiner der Samurai und Ruderer hatte von Bord gehen dürfen, war das Schiff jederzeit bereit. Und da alle Mann sich sehr bewußt waren, daß sie hier in feindlichen Gewässern lagen und alle sich größte Sorgen machten, wußte Blackthorne, daß es keine Mühe bereiten würde, das Schiff auf die hohe See hinauszusteuern.
»Fahrt fort, Uraga-san.«
»Das war alles. Nur noch eines: Mariko-san ist heute eingetroffen.«
»Ah, tatsächlich … Ist das nicht enorm schnell, um über Land von Yedo hierherzukommen?«
»Jawohl, Euer Gnaden. Tatsache aber ist, daß ich sie, während ich wartete, zur Stunde der Ziege mit ihrem Gefolge über die Erste Brücke kommen sah. Die Pferde waren schaumbedeckt und verdreckt und die Träger erschöpft. Angeführt wurden sie von Yoshinaka-san.«
»Wie viele waren es?«
»Mit Reitern, Trägern und Lasttieren alles in allem zweihundert Samurai. Die doppelte Anzahl von Grauen eskortierte sie allerdings. Auf einem der Packtiere waren Körbe mit Brieftauben.«
»Gut. Und was noch?«
»Sobald ich konnte, bin ich dann gegangen. In der Nähe der Mission ist eine Garküche, in der viele Kaufleute, Reis- und Seidenhändler und Leute aus der Mission essen. Ich bin … bin dorthin gegangen und habe gegessen und die Ohren gespitzt. Der Pater Visitator ist wieder zurück in Osaka. Viele Bekehrungen im Gebiet von Osaka. – Außerdem ist die Erlaubnis erteilt worden, zu Ehren der Herren Kiyama und Onoshi in zwanzig Tagen ein Hochamt zu feiern.«
»Ist das wichtig?«
»Jawohl. Und es ist ganz erstaunlich, daß ein solches feierliches Hochamt in aller Öffentlichkeit gefeiert werden darf. Das Fest des heiligen Bernhard soll feierlich begangen werden. In zwanzig Tagen, das bedeutet: Einen Tag nach der Huldigungszeremonie vor dem Erhabenen.«
Yabu hatte Blackthorne durch Uraga vom Erscheinen des Kaisers erzählt. Die Nachricht war wie ein Lauffeuer durch das ganze Schiff gegangen, und die Ahnung von kommendem Unheil hatte sich noch verstärkt.
»Was noch?«
»Auf dem Marktplatz gehen viele Gerüchte um. Gerüchte, die nichts Gutes verheißen. Die Witwe des Taikō ist sehr krank. Das ist schlimm, Anjin-san, weil man auf ihren Rat immer hört und weil der immer vernünftig ist. Einige behaupten, Herr Toranaga sei bereits in Nagoya. Einig sind sich nur alle, daß es dies Jahr eine
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