Shogun
Anjin-san, zusammen mit den zweihundert, die mit mir angekommen sind.«
»Und da draußen?«
»Graue?« Yoshinaka lachte. »Viele … sehr, sehr viele.«
Der Hauptmann der Grauen zeigte grinsend die Zähne. »Fast einhunderttausend. Ihr versteht, Anjin-san: ›Einhunderttausend‹?«
»Ja. Vielen Dank.«
Alle wandten die Blicke ab, als in der Ferne ein Zug von Trägern und Packpferden samt drei Sänften um die Ecke kam und unter Bewachung in die Sackgasse hereinkam. Die Gasse lag immer noch dunkel zwischen den hohen, wachenbesetzten Mauern. Noch immer brannten Fackeln in den eisernen Halterungen. Selbst aus dieser Entfernung konnte man sehen, wie nervös die Träger waren. Die Grauen auf der anderen Seite schienen plötzlich nicht mehr soviel zu reden, sondern aufmerksam hinzusehen. Genauso verhielten sich die Braunen, die Wache standen. Die mächtigen Torflügel schwenkten auf, um den Zug einzulassen; die Eskorte der Grauen blieb bei ihren Kameraden stehen. Dann fielen die Torflügel dumpf wieder in die Vertiefung in den Granitmauern. Dieses Tor wurde nicht durch ein Fallgitter geschützt.
Yoshinaka sagte: »Anjin-san, bitte, verzeiht, aber ich muß nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Alles bereit, neh?«
»Ich werde hier warten.«
»Ja.« Yoshinaka ging.
Der Hauptmann der Grauen trat an die Zinnen heran und blickte hinunter. Himmelherrgott, dachte Blackthorne, hoffentlich hat sie recht und irrt auch Toranaga sich nicht. Jetzt wird's nicht mehr lange dauern, eh? Er begutachtete den Sonnenstand und brummelte dann mehr zu sich auf portugiesisch: »Nicht mehr lange.«
Unbewußt grunzte der Hauptmann seine Zustimmung, und Blackthorne erkannte, daß der Mann ohne Frage Portugiesisch verstand, daher Katholik war und ein möglicher Mörder. Erregt dachte er an gestern abend, überlegte, ob sie auch wirklich nur lateinisch gesprochen hatten. Wirklich nur lateinisch? Heilige Muttergottes, und wie war das, als sie sagte: »… es sei denn, Er will, daß ich Befehl gebe, sie zu töten?« Hatte sie das lateinisch gesagt? Spricht er womöglich auch lateinisch wie jener andere Hauptmann, der während der ersten Flucht aus Osaka den Tod gefunden hatte?
Die Sonne hatte jetzt mehr Kraft, und Blackthorne ließ die Augen von dem Hauptmann der Grauen. Wenn du mich heute nacht nicht umgebracht hast, tust du es vielleicht nie, dachte er.
Unten sah er Kiri auf den Vorhof kommen. Sie überwachte Zofen, die Körbe und Kisten für die Packpferde trugen. Winzig sah sie aus, wie sie da auf den Stufen stand, auf denen Sazuko so getan, als ob sie ausrutschte, um Toranaga Gelegenheit zur Flucht zu geben. Ein wenig weiter in nördlicher Richtung lag der bezaubernde kleine Garten mit der rustikalen Hütte, wo er Mariko das erste Mal begegnet war und auch Yaemon, den Erben, kennengelernt hatte. Im Geiste begleitete er den mittäglichen Zug durch den Irrgarten der Burg und hinaus, dann durch den Wald und sicher hinunter zum Meer an die See. Er betete, daß sie alle mit heiler Haut davonkommen möchten. Waren sie erst einmal fort, würde er mit Yabu die Burg verlassen, sich zu der Galeere begeben und aufs offene Meer hinauslaufen.
Vom Söller aus schien das Meer so greifbar nahe. Und der Horizont lockte.
»Konbanwa, Anjin-san.«
»Mariko-san!« Sie war strahlender denn je. »Konbanwa!« grüßte auch er, um dann unbekümmert lateinisch hinzuzufügen: »Hüte Sie sich vor dem Grauen dort … er versteht«, und fuhr im selben Atemzug auf portugiesisch fort, um ihr Zeit zu geben, sich zu fassen: »Ja, ich verstehe einfach nicht, wie Ihr nach so wenig Schlaf wieder so schön sein könnt.« Er nahm ihren Arm, kehrte dem Hauptmann den Rücken zu und führte sie näher an die Zinnen heran. »Seht, da unten ist Kiritsubo-san.«
»Danke. Ja … ja … ich bin … danke.«
»Warum winkt Ihr Kiritsubo-san nicht zu?«
Sie tat, wie ihr geheißen, und rief auch ihren Namen. Kiri erkannte sie und winkte zurück.
Nach einer Weile, als sie sich wieder in der Gewalt hatte, sagte Mariko: »Ich danke Euch, Anjin-san. Ihr seid sehr klug und sehr weise.« Sie grüßte den Hauptmann flüchtig, ging dann zu einem Granitsims und setzte sich darauf nieder. »Es wird ein schöner Tag werden, neh?«
»Ja. Wie habt Ihr geschlafen?«
»Überhaupt nicht, Anjin-san. Kiri und ich haben bis in die frühen Morgenstunden hinein geplaudert, und dann habe ich den Sonnenaufgang betrachtet. Ich liebe Sonnenaufgänge. Und Ihr?«
»Ich bin immer wieder aufgewacht,
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