Shogun
Sie ist dort, und ich bin hier, und eine Welt liegt zwischen uns.«
»Aber nein, es liegt keine Welt zwischen uns. Mein Leben ist erfüllt durch Ihn.«
Nach einer Weile sagte er: »Und was ist mit Yabus Befehlen an Sie … um Verzeihung zu bitten und zu bleiben?«
»Es könnte sein, daß sie nicht befolgt werden. Tut mir so leid.«
»Wegen Toranagas Befehlen?«
»Ja. Aber im Grunde sind es gar nicht seine Befehle … es ist auch mein Wunsch. Ich habe ihm all dies vorgeschlagen. Ich war es, die ihn bat, hierherkommen zu dürfen, mein Geliebter. Das ist die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe!«
»Was wird morgen geschehen?«
Sie sagte ihm, was sie auch schon Kiri gesagt, um jedoch noch hinzuzufügen: »Alles wird noch besser gehen, als ursprünglich geplant. Ist nicht Ishido schon jetzt Sein Gönner. Ich weiß nicht, woher Herr Toranaga diese Klugheit nimmt. Ehe ich abreiste, hat er mir gesagt, was geschehen würde, geschehen könnte. Er weiß, daß Yabu keine Macht in Kyushu ausübt. Dort könnten Ihn nur Ishido oder Kiyama beschützen. Wir sind keine Lockvögel. Wir stehen unter seinem Schutz. Wir sind ganz sicher.«
»Und was ist mit den neunzehn Tagen … achtzehn jetzt noch? Dann muß Toranaga hier sein, neh? Ist es dann nicht wirklich Zeitverschwendung, wie Ishido sagt?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß neunzehn, achtzehn, ja auch nur drei Tage eine ganze Ewigkeit sein können.«
»Oder der morgige Tag?«
»Auch der morgige Tag. Oder übermorgen.«
»Und wenn Ishido Sie morgen nicht ziehen läßt?«
»Es ist die einzige Chance, die wir haben. Wir alle. Ishido muß gedemütigt werden.«
»Ist Sie da auch ganz sicher?«
»Ja, so wahr mir Gott helfe, Anjin-san.«
Blackthorne machte sich mühsam von einem Alptraum frei, doch in dem Augenblick, da er richtig wach war, hatte sich der Traum auch schon verflüchtigt. Graue starrten ihn im Licht der frühen Morgendämmerung durch das Moskitonetz an.
»Guten Morgen«, sagte er zu ihnen. Es war ihm schrecklich, daß sie ihn beobachtet, während er geschlafen.
Er kroch unter dem Netz hervor, trat auf den Korridor hinaus, stieg die Treppe hinunter, bis er zur Gartentoilette kam. Eine aus Grauen wie Braunen bestehende Wache begleitete ihn. Er nahm sie kaum wahr.
Die Dämmerung war grau. Im Osten allerdings war der Himmel bereits vom Dunst freigefegt. Es roch nach Salz und nach Meer. Schon jetzt schwirrten Fliegen umher.
Heiß wird es heute werden, dachte er.
Es war nicht üblich, morgens schon heiß zu baden. Deshalb ging er jeden Morgen hin und übergoß sich mit kaltem Wasser. »Eeee, Anjin-san«, pflegten seine Bewacher zu sagen, »das ist gewiß sehr gut für Eure Gesundheit.«
Er kleidete sich an und stieg zu dem Söller hinauf, von dem aus man den Vorhof dieses Teils der Burg überschauen konnte. Er trug einen braunen Kimono und seine Schwerter; die Pistole hatte er unter der Schärpe verborgen. Braune, die gerade Wache hatten, begrüßten ihn freundlich, wenn sie auch sichtlich von den Grauen beunruhigt waren. Graue standen auch auf den Zinnen gegenüber, und selbstverständlich wimmelte es vor ihrem Tor von ihnen.
»Viele Graue, entschieden mehr als sonst. Versteht Ihr, Anjin-san?« sagte Yoshinaka, der auf den Söller hinaustrat.
»Ja.«
Der Hauptmann der Grauen trat zu ihnen. »Bitte, geht nicht zu nahe an den Rand heran, Anjin-san. Tut mir so leid.«
Die Sonne stand überm Horizont. Ihre Wärme tat Blackthorne gut. Der Himmel war wolkenlos, und der leichte Wind legte sich mehr und mehr.
Der Hauptmann der Grauen zeigte auf Blackthornes Schwert. »Ist das ›Öl-Verkäufer‹, Anjin-san?«
»Ja, Hauptmann.«
»Gestattet Ihr, daß ich mir die Klinge ansehe?«
Blackthorne zog das Schwert halb aus der Scheide. Die Sitte erheischte, daß man ein Schwert nie ganz zog, es sei denn, um es zu gebrauchen.
»Eeee, herrlich, neh?« rief der Hauptmann aus. Die anderen, Graue wie Braune, scharten sich gleichfalls tief beeindruckt um sie.
Blackthorne stieß das Schwert wieder bis ans Heft in die Scheide. Er war keineswegs unangenehm berührt. »Ehre, ›Öl-Verkäufer‹ zu tragen.«
»Versteht Ihr, ein Schwert zu gebrauchen, Anjin-san?« erkundigte sich der Hauptmann.
»Nein, Hauptmann. Nicht wie Samurai. Aber ich lerne.«
»Ah, ja. Das ist sehr gut.«
Im Vorhof, zwei Stockwerke unter ihnen und noch ganz im Schatten, exerzierten Braune. Blackthorne sah ihnen zu. »Wie viele Samurai hier, Yoshinaka-san?«
»Vierhundertunddrei,
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