Shogun
wußte, daß sie dazu dienen sollte, daß ihre Röcke nicht mit Blut besudelt würden und bei ihren Todesstößen nicht durcheinandergerieten.
Dann, gesammelt und bereit, blickte Mariko zum Bergfried hinüber. Immer noch vergoldete die Sonne das oberste Stockwerk und wurde von den goldenen Ziegeln zurückgeworfen. Rasch kletterte das flammende Licht bis zur obersten Spitze. Dann erlosch es.
Wie klein sie aussah, als sie regungslos dasaß: Ein weißer Tupfen auf dem Scharlachrot.
Schon lag die Gasse im Dunkeln, und Diener setzten die Fackeln in Brand.
Sie streckte die Hand aus, berührte das Stilett und rückte es zurecht. Sodann wandte sie den Blick nochmals durch das Tor auf das Ende der Gasse, doch dort war es immer noch menschenleer wie zuvor. Sie senkte den Blick wieder auf das Stilett.
»Kasigi Yabu-sama!«
»Ja, Toda-sama?«
»Es scheint, Herr Kiyama lehnt es ab, mir beizustehen. Bitte, ich würde es als eine Ehre betrachten, wenn Ihr mein Sekundant sein wolltet.«
»Die Ehre liegt bei mir«, sagte Yabu. Er verneigte sich, erhob sich und stellte sich links hinter sie. Sein Schwert sang leise, als es aus der Scheide gezogen wurde. Er pflanzte die Füße fest auf den Boden, packte das Schwert mit beiden Händen und hob es in die Höhe. »Ich bin bereit, Dame«, sagte er.
»Bitte, wartet, bis ich meinen zweiten Schnitt gemacht habe.«
Ihre Augen lagen auf dem Stilett. Mit der Rechten schlug sie das Zeichen des Kreuzes vor ihrer Brust, dann neigte sie sich vor, nahm mit festen Händen das Stilett und berührte damit ihre Lippen, als wollte sie den glänzenden Stahl kosten. Dann packte sie den Griff anders und hielt die Schneide mit der rechten Hand an die linke Seite ihrer Kehle. In diesem Augenblick kamen Fackeln um die Ecke der Gasse gebogen. Ein Zug Samurai näherte sich, Ishido an ihrer Spitze.
Regungslos hielt sie das Stilett.
Yabu war wie eine angespannte Feder, seine Aufmerksamkeit ganz auf sein Ziel gerichtet. »Dame«, sagte er, »wartet Ihr, oder machen wir weiter? Ich möchte vollkommen für Euch sein.«
Mariko mußte sich vorm Abgrund zurückreißen. »Ich … wir warten … wir … ich …« Sie senkte das Stilett. Jetzt zitterte ihre Hand. Genauso langsam entspannte Yabu sich. Sein Schwert zischte leise, als er es wieder in die Scheide steckte, und er wischte sich die Hände an den Seiten ab.
Ishido stand am Tor. »Noch haben wir nicht Sonnenuntergang, Dame. Die Sonne steht noch überm Horizont. Seid Ihr so begierig zu sterben?«
»Nein, Herr General, nur meinem Gebieter zu gehorchen …« Sie hatte ihre Hände zusammengelegt, um das Zittern zu unterdrücken.
Eine Bewegung des Zorns und des Grolls ging durch die Braunen ob Ishidos arroganter Grobheit, und Yabu war schon im Begriff, auf ihn zuzuspringen, hielt dann jedoch an sich, als Ishido laut sagte: »Die Dame Ochiba hat die Regenten im Namen des Erben gebeten, in Eurem Falle eine Ausnahme zu machen. Wir haben ihrer Bitte entsprochen. Hier sind die Papiere, damit Ihr morgen früh abreisen könnt.« Er stopfte sie Sumiyori in die Hand, der in der Nähe stand.
»Euer Gnaden?« sagte Mariko. Sie verstand nicht. Ihre Stimme war nur ein Hauch.
»Es steht Euch frei, Osaka zu verlassen. Morgen früh.«
»Und … Kiritsubo-san und die Dame Sazuko?«
»Sind sie nicht Bestandteil Eurer ›Pflicht‹? Ihre Papiere sind gleichfalls hier.«
Mariko versuchte, sich zu konzentrieren. »Und … und ihr Sohn?«
»Für ihn auch, Dame.« Ishidos spöttisches Lachen hallte von den Mauern wider. »Und für alle Eure Männer!«
Yabu stotterte: »Alle haben freies Geleit?«
»Jawohl, Kasigi Yabu-san«, sagte Ishido. »Ihr seid der ranghöchste Offizier, neh? Bitte, geht sofort zu meinem Sekretär. Er ist dabei, alle Pässe für Euch auszustellen, obwohl ich nicht begreifen kann, warum geehrte Gäste den Wunsch haben sollten fortzugehen. Für siebzehn Tage lohnt es sich kaum. Neh?«
»Und ich, Herr General«, fragte die alte Dame Etsu, die herausfinden wollte, wie umfassend Marikos Sieg sei. Ihr Herz pochte heftig und bereitete ihr Schmerzen. »Darf ich … darf ich bitte auch gehen?«
»Selbstverständlich, Dame Maeda. Warum sollten wir irgendwen gegen seinen Willen hier festhalten? Sind wir denn Gefängniswärter? Selbstverständlich nicht. Wenn die Gastfreundschaft des Erben so beleidigend für Euch ist, daß Ihr lieber abreisen möchtet, dann reist ab, obgleich ich nicht begreife, wie Ihr vierhundert Ri nach Hause und vierhundert Ri
Weitere Kostenlose Bücher