Shogun
Deckung.
Sumiyori näherte sich mit zehn Samurai im Korridor dieses Flügels, des Westflügels. Zwei von seinen Leuten ließ er in der Nähe der Söllertür zurück, hielt sich jedoch nicht auf, sondern bog am Ende um die Ecke und stieg eine Wendeltreppe hinunter. Unten befanden sich zwei weitere Wachtposten, die beiden müden Samurai verneigten sich und wurden abgelöst.
Sumiyori stieg weiter nach unten und ließ die Wachen ablösen. Zuletzt blieb er vor einer Tür stehen und klopfte. Die beiden letzten Wachen standen hinter ihm.
»Yabu-san?«
»Ja?« kam es verschlafen von drinnen.
»Tut mir leid … die Wachablösung.«
»Ah, vielen Dank. Bitte, tretet ein.«
Sumiyori machte die Tür auf, blieb jedoch wachsam auf der Schwelle stehen. Yabu lag mit zerzaustem Haar auf seinen Decken und stützte sich mit der einen Hand auf, während er mit der anderen das Schwert gepackt hielt. Als er sich überzeugt hatte, daß es wirklich Sumiyori war, entspannte er sich und gähnte. »Irgend etwas Neues, Hauptmann?«
»Alles ist ruhig. Sie schläft jetzt … zumindest hat ihre Zofe, Chimmoko, das gesagt.« Er hatte die Tür geschlossen und trat an eine niedrige Kommode heran, auf der ein Öllämpchen flackerte; aus einer Kanne goß er sich kalten Cha ein. Neben der Kanne lag ihr Paß, den Yabu gestempelt und unterschrieben von Ishidos Kanzlei mitgebracht hatte.
Yabu gähnte abermals und streckte sich wohlig. »Und der Anjin-san?«
»Der war noch wach, als ich das letzte Mal nachsah. Das war um Mitternacht. Er bat mich, bis zum Sonnenaufgang nicht wieder nachzusehen … das hat irgend etwas mit seinen Gewohnheiten zu tun. Auch bei Kiritsubo-san und den anderen Damen ist alles ruhig, obwohl sie, Kiritsubo-san, fast die ganze Nacht aufgewesen ist.«
Yabu erhob sich. Er trug nur ein Lendentuch. »Und was tat sie?«
»Sie saß einfach am Fenster und starrte hinaus. Ich sagte, es wäre besser, sie würde ein wenig schlafen, aber sie dankte mir nur höflich; sie werde es versuchen, sagte sie, blieb aber trotzdem dort sitzen. Frauen, neh?«
Yabu spannte und entspannte seine Schultern und Armmuskeln und kratzte sich kräftig, um seinen Blutkreislauf anzuregen. Dann fing er an, sich anzuziehen. »Sie sollte sich hinlegen. Sie hat heute noch eine lange Reise vor sich.«
Sumiyori setzte die Schale ab. »Ich halte das Ganze für eine Finte.«
»Was?«
»Ich glaube nicht, daß Ishido es ehrlich mit uns meint.«
»Wir haben unterzeichnete Pässe. Da liegen sie. Wie sollte er ein Versprechen, das er uns und der Dame Toda in aller Öffentlichkeit gegeben hat, nicht einhalten? Das geht doch nicht, neh?«
»Ich weiß nicht. Verzeiht, Yabu-san, aber ich halte es trotzdem für eine Finte.«
Langsam knüpfte Yabu seine Schärpe. »Was für eine Art Finte?«
»Man wird uns einen Hinterhalt legen.«
»Das würde er nicht wagen.«
»Doch. Entweder er legt uns einen Hinterhalt, oder er hält uns sonst irgendwie auf. Ich sehe es einfach nicht, daß er sie oder die Dame Kiritsubo oder die Dame Sazuko oder das Baby ziehen läßt.«
»Nein, da irrt Ihr Euch.«
Sumiyori schüttelte traurig den Kopf. »Ich glaube, es wäre besser gewesen, sie hätte ihren Schnitt gemacht und ihr hättet zugeschlagen.«
Yabu nahm seine Schwerter und steckte sie sich in den Gürtel. Ja, dachte er, ganz meine Meinung. Damit ist noch nichts gewonnen, und sie hat auf ihre Pflicht vergessen. Hätte sie ihren Schnitt ausgeführt, dann wären wir alle mit dem Leben davongekommen. Aber wie die Dinge jetzt stehen … sie ist vorm Abgrund zurückgewichen, hat damit uns und sich selbst entehrt. Shikata ga nai , neh? Dummes Weib!
Zu Sumiyori sagte er jedoch: »Ich glaube, Ihr irrt Euch. Sie hat Ishido hereingelegt. Die Dame Toda hat gewonnen. Ishido wird es nicht wagen, uns einen Hinterhalt zu legen. Legt Euch jetzt schlafen, ich wecke Euch bei Sonnenaufgang.«
Doch abermals schüttelte Sumiyori den Kopf. »Nein, vielen Dank, Yabu-san, ich glaube, ich mache lieber noch einmal die Runde.« Er trat an die Schießscharte und starrte hinaus. »Irgendwas stimmt nicht.«
Yabu trat neben Sumiyori und tat so, als spähe er gleichfalls ins Dunkel hinaus und lausche, doch dann riß er ohne jede Warnung sein Kurzschwert heraus und bohrte es mit derselben schwungvollen Bewegung Sumiyori in den Rücken und hielt ihm mit der anderen Hand den Mund zu, um seinen Schrei zu ersticken. Der Hauptmann war auf der Stelle tot. Yabu trug den Leichnam zu den Futons hinüber und legte
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