Shogun
gekommen war, hatte der ganze Keller in Dunkelheit gelegen. Die Schreie erfüllten die Grube, und er glaubte, er sei tot und befinde sich in den tiefsten Tiefen der Hölle. Er hatte das Gefühl, in den Schlamm hinabgezogen zu werden, der feucht und kalt war. Er hatte aufgeschrien und voller Entsetzen um sich geschlagen, unfähig, einen Atemzug zu tun, bis er nach einer Ewigkeit gehört hatte: »Ist ja alles in Ordnung, Pilot. Ihr seid nicht tot, es ist ja alles in Ordnung. Wacht auf, um Christi willen, das hier ist nicht die Hölle, wenn's einem auch so scheinen möchte.«
Dann erzählten sie ihm von Pieterzoon und den Fässern mit Seewasser.
»O Herr Jesus, bring uns hier raus!« wimmerte irgendwer.
»Was tun sie dem armen alten Pieterzoon bloß an? Was machen sie mit ihm? O Gott, hilf uns. Ich kann die Schreie nicht mehr ertragen!«
Die Grube und Pieterzoons Schreie waren für sie alle zuviel gewesen, hatten sie gezwungen, in sich zu gehen und in sich hineinzuschauen. Und keinem von ihnen hatte gefallen, was er dort gesehen.
Die Dunkelheit macht es nur noch schlimmer, hatte Blackthorne gedacht. Endlos war die Nacht gewesen in dieser Grube.
Als der Tag heraufdämmerte, hörten die Schreie auf, und als das Morgenlicht zu ihnen hinuntersickerte, entdeckten sie den vergessenen Samurai.
»Was fangen wir nur mit ihm an?« fragte van Nekk.
»Ich weiß es nicht. Er scheint genausoviel Angst zu haben wie wir«, sagte Blackthorne, und sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
»O Herr Jesus, bring mich hier raus …« Croocqs Stimme schwoll in einem Crescendo an. » Hiiilllffffeee !«
Van Nekk, der dicht bei ihm stand, schüttelte ihn und beruhigte ihn. »Ist doch alles in Ordnung, Junge! Wir sind in Gottes Hand. Er wacht über uns!«
»Seht euch meinen Arm an«, stöhnte Maetsukker. Die Wunde hatte bereits zu schwären begonnen. Daraufhin erhob Blackthorne sich mit zitternden Knien. »Wir alle werden in ein, zwei Tagen wie Tobsüchtige sein, wenn wir hier nicht rauskommen«, sagte er.
»Es ist kaum noch Wasser da«, stellte van Nekk fest.
»Den Rest werden wir rationieren. Etwas jetzt, heute mittag wieder ein wenig. Wenn wir Glück haben, reicht es für dreimal. Zum Teufel mit diesen Fliegen!« Dann hatte er allen ihre Ration zugeteilt, und jetzt saß er da und trank und versuchte, das Naß so lang wie möglich im Mund zu behalten.
»Was ist mit dem Japaner?« sagte Spillbergen. Der Generalkapitän hatte die Nacht besser überstanden als alle anderen, denn er hatte sich die Ohren vor den Schreien mit ein wenig Schlamm verstopft. Da er außerdem direkt neben dem Wasserfäßchen saß, hatte er sich heimlich immer wieder den Durst gelöscht. »Was machen wir mit ihm?«
»Er müßte auch etwas Wasser bekommen«, sagte van Nekk.
»Die Pest soll er!« erklärte Sonk. »Ich sage, er bekommt keins.« Sie stimmten darüber ab und kamen überein, daß er nichts bekommen sollte.
»Ich bin anderer Ansicht«, sagte Blackthorne.
»Ihr seid nie unserer Meinung«, sagte Jan Roper. »Er ist der Feind. Er ist ein Heidenteufel und hat Euch beinahe umgebracht.«
»Du hast mich auch fast umgebracht, und zwar ein dutzendmal! Wenn deine Muskete in Santa Magdellana losgegangen wäre, hättest du mir den Kopf abgeschossen!«
»Ich hab' aber nicht auf Euch gezielt, sondern auf die Spanier!«
»Das waren wehrlose Priester. Und wir hatten reichlich Zeit! Mit deiner gottverfluchten Wut, deiner gottverfluchten Bigotterie und deiner gottverfluchten Dummheit hast du mich ein dutzendmal fast umgebracht!«
»Blasphemie ist eine Todsünde! Wir sind in seiner Hand, nicht in Eurer! Ihr seid kein König, und dies hier ist kein Schiff. Ihr führt hier nicht das …«
»Aber du wirst tun, was ich sage!«
Jan Roper sah sich im Keller um, suchte jedoch vergebens nach Unterstützung. »Tut, was Ihr wollt«, sagte er plötzlich verstockt.
»Das werde ich auch tun.«
Dem Samurai war die Kehle genauso ausgetrocknet wie ihnen, doch er schüttelte den Kopf, als sie ihm den Becher mit Wasser anboten. Blackthorne zögerte, setzte dem Samurai den Becher an die geschwollenen Lippen, aber der Mann schlug ihn fort, verschüttete das Wasser und stieß rauh ein paar Wörter aus. Blackthorne wappnete sich gegen den nächsten Schlag, doch der kam nie. Der Mann machte keine Bewegung, sondern starrte ins Nichts.
»Er ist wahnsinnig! Sie sind alle wahnsinnig!« sagte Spillbergen.
»Desto mehr Wasser bleibt uns. Gut«, sagte Jan Roper. »Soll er doch zur Hölle
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