Shogun
fahren, wo er ja auch hingehört!«
»Wie heißt du? Namu?« fragte Blackthorne. Er wiederholte das auf alle möglichen Arten, aber der Samurai schien es nicht zu hören.
Sie ließen ihn in Ruhe, behielten ihn jedoch im Auge, als wäre er ein giftiger Skorpion. Er seinerseits beobachtete sie überhaupt nicht. Blackthorne war überzeugt, daß der Mann versuchte, zu einem Entschluß zu kommen, hatte jedoch keine Ahnung, worum es wohl gehen mochte. Was denkt er bloß? fragte sich Blackthorne. Weshalb verschmäht er das Wasser? Warum haben sie ihn hier zurückgelassen? War das ein Fehler von Omi? Unwahrscheinlich! Absicht? Auch unwahrscheinlich! Könnten wir uns seiner bedienen, um hier herauszukommen? Kaum! Alles ist unwahrscheinlich bis auf das, daß es wahrscheinlich ist, daß wir hierbleiben, bis sie uns rauslassen … falls sie uns jemals rauslassen. Es war heiß, und die Fliegen schwirrten.
O Gott, ich wünschte, ich könnte mich hinlegen … ich wünschte, ich könnte in jenes Bad steigen … diesmal brauchten sie mich nicht mit Gewalt hinzuschleppen. Jener alte Mann mit seinen Stahlfingern! Stundenlang könnte ich das jetzt aushalten!
»Pilot!« Van Nekk schüttelte ihn. »Ihr habt geschlafen. Es ist seinetwegen – er verneigt sich jetzt schon eine Minute vor Euch, vielleicht sogar noch länger.« Er wies auf den Samurai, der, die Stirn im Schlamm, vor ihm auf den Knien lag. Blackthorne rieb sich die Erschöpfung aus den Augen. Unter Anstrengungen erwiderte er die Verbeugung.
»Hai?« fragte er barsch. Das japanische Wort für ›ja‹ war ihm wieder eingefallen. Der Samurai packte die Schärpe seines zerfetzten Kimonos und schlang sie sich um den Hals. Immer noch kniend, reichte er das eine Ende Blackthorne und das andere Sonk, hielt den Kopf weiterhin tief gesenkt und gab ihnen durch Handbewegungen zu verstehen, sie sollten zuziehen.
»Er hat Angst, wir erwürgen ihn«, sagte Sonk.
»Himmelherrgott, nein, ich glaube, gerade das ist es, wozu er uns auffordert.« Blackthorne ließ die Schärpe fallen und schüttelte den Kopf. »Kinjiru!« sagte er. Wie nützlich doch dieses eine Wort war! Wie einem Mann, der deine Sprache nicht versteht, erklären, daß es gegen deine Grundsätze verstößt, jemanden umzubringen? Daß wir keine Henker sind, daß Selbstmord eine Sünde ist?
Der Samurai wiederholte seine Aufforderung, flehte ihn ganz offensichtlich an, doch abermals schüttelte Blackthorne den Kopf. »Kinjiru.« Wild blickte der Mann um sich. Plötzlich sprang er auf und rammte seinen Kopf tief in den Latrineneimer und versuchte, sich zu ersticken. Jan Roper und Sonk rissen ihn sofort zurück; er würgte und wehrte sich.
»Laßt ihn los«, befahl Blackthorne. Er wies auf den Latrineneimer. »Samurai, wenn es das ist, was du willst, dann mach nur!«
Der Mann rülpste, doch er verstand. Er sah zu dem Eimer hin und wußte, daß er nicht die Kraft hatte, den Kopf lange genug hineinzustecken. Elend und niedergeschlagen kehrte der Samurai an seinen Platz an der Wand zurück.
»Jesus!« murmelte einer.
Blackthorne schöpfte einen halben Becher Wasser aus dem Fäßchen, stand mit steifen Gelenken auf, ging zu dem Japaner hinüber und bot ihn ihm an. Der Samurai blickte am Becher vorbei.
»Ich möchte mal wissen, wie lange er es aushalten kann«, sagte Blackthorne.
»Ewig«, sagte Jan Roper. »Das sind Tiere. Das sind keine Menschen!«
»Um Himmels willen, wieviel länger werden sie uns hier noch drin behalten?« fragte Ginsel.
»Solange es ihnen gefällt. Wir müssen alles tun, was sie wollen«, sagte van Nekk. »Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, wenn wir am Leben bleiben wollen. Hab' ich nicht recht, Pilot?«
»Jawohl.« Dankbar registrierte Blackthorne die Länge der Schatten. »Es ist Mittag, wir müssen uns ablösen.«
Als alle ihre neuen Plätze eingenommen hatten, legte auch er sich dankbar nieder. Der Schlamm roch scheußlich, und die Fliegen waren schlimmer denn je; trotzdem war die Freude, sich der Länge nach ausstrecken zu können, unbeschreiblich.
Was mögen sie Pieterzoon angetan haben? fragte er sich. Mein Gott, hilf uns, hier herauszukommen. Ich habe solche Angst!
Oben ließen sich Schritte vernehmen. Die Falltür ging auf. Der Priester stand da, Samurai neben sich.
»Pilot! Ihr sollt heraufkommen! Und zwar allein«, sagte er.
6. Kapitel
Aller Augen in der Grube wandten sich Blackthorne zu.
»Was wollen sie mit mir?«
»Das weiß ich nicht«, erklärte Pater Sebastio
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