Shoppen und fischen
vielleicht: «Ich glaube, du hast schon nachgegeben.»
Ich schob das Schreiben fast zwei Wochen hinaus, weil ich mich nicht entscheiden konnte, wie meine Dankeskarte ausfallen sollte. Sollte ich ihr geradeheraus verzeihen? Ihr sagen, dass ich sie ebenfalls vermisste? Dass ich ihre Beziehung mit Dex zwar niemals voll akzeptieren, aber unsere Freundschaft gern wieder beleben würde? War das überhaupt so?
Eines Abends, am Samstag in der vierunddreißigsten Woche, verspürte ich plötzlich den Drang, aufzustehen und ein kleines ledergebundenes Album aus dem Schrank im Kinderzimmer zu holen. Es war ein paar Sommer her, dass ich dieses Album zusammengestellt hatte, und ich hatte es im letzten Moment in die Seitentasche eines Koffers gesteckt. Ich nahm es mit ins Bett und blätterte darin; ich ging über die Fotos von Claire und Dex und ein paar anderen Freunden hinweg, bis ich zu einem von Rachel und mir kam, das in den Hamptons aufgenommen worden war, kurz nachdem sie und Dex ihr Juraexamen hinter sich gebracht hatten. Ich betrachtete unsere sorglose Haltung und unser breites Lächeln. Wir standen im Bikini am Strand und hielten uns lässig im Arm. Ich konnte die Salzluft riechen und die Meeresbrise spüren, den Sand, der mir zwischen den Zehen hindurchquoll. Ich konnte sogar ihr Lachen hören. Ich fragte mich, warum Strandfotos von geliebten Menschen, die man verloren hat, beim Anschauen immer so viel schmerzlicher sind als andere.
Ich betrachtete das Bild und dachte an alles, was zwischen Dex und Rachel und mir vorgefallen war, und kam noch einmal zu dem Schluss, dass die Risse in unseren Beziehungen der Nährboden für allerlei Falschheiten gewesen waren. Dex und ich hatten einander betrogen, weil wir vonAnfang an nicht zusammengehört hatten. Rachel hatte mich betrogen, weil unsere Freundschaft bröckelte. Und ich hatte sie wegen der gleichen negativen Unterströmung über Marcus belogen – wegen dieses unausgesprochenen Konkurrenzkampfs, der auch die allerbeste Freundschaft beeinträchtigen kann. Unsere hatte er zerstört.
So gern ich die beiden für alles verantwortlich machen wollte, ich wusste doch, dass ich nicht schuldlos war. Wir alle waren mitverantwortlich. Wir alle hatten gelogen und betrogen. Aber trotz allem waren wir keine schlechten Menschen. Wir hatten eine zweite Chance verdient, eine Chance darauf, glücklich zu sein. Ich dachte an die Redensart: «Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht», aber das war ein Irrtum. In einer guten Beziehung belog und betrog man sich nicht, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass Rachel und Dex einander betrogen. Und wenn ich jemals mit Ethan zusammen sein sollte, würde ich ihn niemals betrügen, das wusste ich. Ich würde ihm treu sein, unter allen Umständen, immer.
Und in diesem Augenblick, auf der Schwelle des Verzeihens, setzten die Wehen ein. Sie begannen als heftiger Krampf im Unterbauch, und als ich aufstand, um aufs Klo zu gehen, rann Flüssigkeit an meinen Beinen herunter. Meine Fruchtblase war geplatzt. Ich fühlte mich seltsam ruhig, als ich Mr. Smith anrief und ihm die Symptome schilderte. Er bestätigte, dass es sich tatsächlich um Geburtswehen handelte, und wies mich an, möglichst schnell in die Klinik zu kommen. Er werde mich dort erwarten.
Ethan war in einer Sports Bar in Piccadilly, um sich das Stanford-Spiel beim NCA A-Basketballturnier anzusehen. Ich störte ihn dabei nicht gern – er nahm dieses Turniersehr ernst –, aber ich hatte ihm versprechen müssen, ihn «beim allerkleinsten Anlass» anzurufen, und ich dachte mir, das Einsetzen der Wehen sei wohl so ein Anlass. Er meldete sich beim ersten Klingeln und schrie über den Barlärm hinweg: «Darcy? Ist alles okay?»
«Ja … Gewinnt Stanford?»
«Sie haben noch nicht angefangen», antwortete er. «Gerade spielt Wake Forest. Machen einen ganz ordentlichen Eindruck – was gut ist, weil ich sie unter den ersten vier eingetragen habe.» Ich sah ihn vor mir, wie er auf einem Barhocker saß und den gelben Marker umklammerte, mit dem er die Tabellen aus
USA Today
bearbeitete.
«Wann fängt dein Spiel denn an?» Vielleicht konnte ich warten, bis das Spiel zu Ende war, und dann konnte er zu mir in die Klinik kommen.
«Gleich. Warum? Ist alles okay?»
Ich zögerte kurz. «Es tut mir wirklich Leid, Ethan. Ich weiß, wie sehr du dich auf dieses Turnier gefreut hast, auf das Stanford-Spiel und alles … aber die Wehen haben eingesetzt. Glaubst du, du könntest nach
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