Showman
entlang, an der auch der Spiegel hing, und sie schauten vor ihm zu Boden.
Dort sahen sie das Licht, und sie sahen auch noch mehr. In dem Ausschnitt bewegte sich etwas. Es war die Projektion aus dem Spiegel.
Schatten, die in die Höhe stiegen, wieder zurückfielen und denselben Weg noch einmal nahmen.
Sie mußten weiter, auch wenn es ihnen schwerfiel. Doris murmelte Worte, die ihr Freund nicht verstand. Er wollte ihr sagen, daß sie ruhig wegbleiben konnte, es war schon zu spät. Sie hatten die Höhe des Spiegels erreicht und drehten sich um.
Nein – ja! Plötzlich war dieser Widerspruch da. Er hieb in ihre Gedanken hinein, denn sie sahen sich selbst kaum. Ihre eigenen Körper waren in den Hintergrund gedrängt worden und malten sich dort mehr als Schatten ab.
Im Vordergrund sahen sie eine Szene, die überhaupt nichts mit einem normalen Spiegel, der einfach nur einen Gegenstand wiedergeben sollte, zu tun hatte. Dort stand der Showman in all seiner grausamen Pracht. Er trug sogar seinen roten Mantel und auch die Stola um seine Schultern.
Das Feuer schien der Kleidung und auch ihm kaum etwas ausgemacht zu haben, wäre da nicht das furchtbare Gesicht gewesen. Unter der verbrannten Haut kamen die bleichen Knochen hervor!
Sein Grinsen war widerlich. Er stand da wie immer. Nach vorn gebeugt.
Aus den Kuttenärmeln schauten seine Klauen hervor. Der rechte Arm hing normal am Körper herab, den linken hatte er angewinkelt, und auf seiner Hand und zwischen den schwarzen, verbrannten Fingern gleißte ein grellgelbes Licht.
Doch der Showman beherrschte das Bild nicht allein.
Es gab da noch einen Hintergrund, wo sich etwas abspielte. Doris und ihr Freund hatten es schon bei der Spiegelung auf dem Boden gesehen.
Da war es ihnen so vorgekommen, als wären durch das Licht Schatten gehuscht. Diese Schatten gab es.
Von einer Lichtwolke dirigiert und aus ihr förmlich herausgeschleudert flogen die sechs Köpfe in die Höhe und kamen für einen Moment zum Stillstand, als sie einen bestimmten Punkt erreicht hatten. Dann sackten sie sofort wieder weg, tauchten zugleich in das Licht ein und wurden kurze Zeit später wieder in die Höhe gedrückt, ohne dabei zu verbrennen.
Dieses Spiel wiederholte sich immer wieder. Besonders Steven konnte sich seiner Faszination nicht entziehen.
Auch wenn die Köpfe mehr den Totenschädel glichen als normalen Gesichtern, so konnte er doch erkennen, wer da in die Höhe gewuchtet wurde.
Es waren die Köpfe der sechs Bandmitglieder, die er auf ihren Schößen hatte liegen sehen. Nur hatten sie jetzt keine Haare mehr, und die bleiche Totenhaut war auch aus ihren Gesichtern verschwunden. Es schimmerte mehr das Gelb der Knochen durch, was aber auch an diesem mörderischen Licht liegen konnte.
Noch immer hielten sich die beiden an den Händen fest. Die Faszination dieses makabren Bildes hatte sie stumm werden lassen. Sie waren nicht in der Lage, die Gedanken zu ordnen, in Worte zu kleiden, die ihnen durch die Köpfe huschten.
In diesem Spiegel hatte das Grauen Methode bekommen. Ein Motiv kannten sie nicht, es gab für sie einfach keinen Grund, aber beide wußten, daß dies erst der Anfang sein mußte.
Showman hielt den Kopf schräg. Er bewegte die Augen und schielte aus dem Spiegel hervor. Das Grinsen war geblieben. Der Mund zitterte etwas, als wollte er ihnen ein stummes Versprechen geben.
Es war keine Wärme zu spüren, obwohl in dem veränderten Spiegel ein Feuer tobte. Beide hatten nur einen Blick in eine andere Welt bekommen, wo die Toten lebendig waren, angeblich, was weder Doris noch ihr Freund begriffen.
Wie lange sie auf der Stelle gestanden hatten, wußte keiner von ihnen zu sagen, aber die Finger der Frau zuckten plötzlich, als sie Stevens Hand drückte.
Er bemerkte es und schrak ebenfalls zusammen. »Frag mich nicht!« hauchte er. »Bitte, frag mich nicht. Ich kann es dir auch nicht erklären. Ich… ich komme nicht zurecht.«
»Wir können nicht bleiben.«
»Stimmt.«
»Du wolltest anrufen…«
»Ja, das wollte ich.«
»Dann tu es doch!« Doris hatte nicht mehr normal gesprochen, sondern mit keuchender Stimme. »Denk daran, daß mich dieser Showman berührt hat. Er wird auch jetzt den Spiegel verlassen können. Ruf an, bitte. Danach rennen wir aus der Wohnung.«
Er nickte und ging zurück.
Dabei hatte er sich nicht umgedreht, er wollte den Spiegel im Auge behalten, was Doris sogar recht war. Fremde in der eigenen Wohnung.
Anders konnten sie sich einfach nicht sehen.
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