Showman
wollte.
Doris hoffte zumindest, daß er sie verstanden hatte. Ein wenig zögerlich und auch mehr, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, winkte sie ihm zu und ging an ihm vorbei auf die Tür der Nachbarn zu.
Nach drei Schritten blieb sie stehen. Direkt vor dem Fenster, wo sich ihre Gestalt deutlich abmalte. Grundlos hatte sie nicht gestoppt, denn ihr war etwas zu Ohren gekommen.
Tritte!
Tritte auf der Treppe. Noch aus der Tiefe kommend, aber durchaus zu hören, denn sie näherten sich der vierten Etage. Vielleicht waren sie in der zweiten oder dritten, das konnte sie nicht so genau feststellen, aber die Holzstufen ließen durchaus diese dumpf klingenden Echos zu, die sich mit der Beharrlichkeit eines Uhrwerks näherten und dabei immer deutlicher wurden.
Wer kam hoch?
Einer der Hausbewohner? Durchaus möglich. Der Mann vom Yard war es sicherlich nicht, denn er wäre schneller gelaufen, also mußte es ein anderer sein, ein Fremder, und Doris überkam eine böse Furcht.
Auch ihr Freund hatte die Geräusche gehört. Er saß zwar noch immer auf dem Boden, aber sein Blick war jetzt zur Treppe hin gerichtet. Doris konnte das Profil des Mannes gut erkennen. Sein Mund stand offen, als wollte er den Ankömmling begrüßen, nachdem er überlegt und die richtigen Worte gefunden hatte.
Plötzlich sprach er. »Er – ja, er…«
»Wer denn?« flüsterte Doris.
Ihr Freund kicherte nur.
Für Doris Carter reichte die Antwort. Sie rechnete damit, daß der Showman hier erscheinen würde. Wer aus dem Reich der Toten in einen Spiegel eindrang, für den war es auch möglich, sich auf eine andere Art und Weise zu zeigen.
Überhaupt wußte sie nicht, was sie von einer derartigen Gestalt halten sollte. Der Teufel war dieser Showman nicht. Zumindest hatte ihn Doris sich anders vorgestellt. Sie war natürlich wie die meisten Menschen von alten Zeichnungen und Bildern voreingenommen. Da hatten die Menschen den Höllenherrscher so gemalt, wie sie sich das Böse vorstellten. Pelzig, gehörnt, ein stinkender Körper mit einem übergroßen Phallussymbol, grinsend, schmutzig und all den Abscheu in seinen Augen, der auf eine Verachtung des menschlichen Lebens hindeutete.
Die Tritte hörten auf.
Doris Carters Herz schlug schneller. Sie rechnete mit dem Schlimmsten.
Zwar hatte sie ihn im Spiegel gesehen, zwar wußte sie einiges über ihn, aber da war er noch weit entfernt gewesen.
Es ging weiter.
Tapp, tapp…
Keiner von ihnen tat etwas, auch Steven nicht. Er hatte seinen Sitzplatz nicht verlassen. Angst zeichnete die Züge. Auf Doris wirkte er so, als wollte er sich in den Schatten verkriechen, die ihn umgaben, während sie noch immer vom farblich unterschiedlichen Lichtschein erfaßt wurde, mal aussah wie ein Geist, mal wie ein Mensch.
Dann verstummten die Tritte.
Aufatmen bei beiden im ersten Augenblick. Doris wartete einige Sekunden, bevor sie auf ihren Freund zu huschte und sich neben ihn kniete. »Ich glaube, wir haben uns geirrt, Steven. Ganz bestimmt haben wir uns geirrt.«
Er schüttelte den Kopf. Doris war so nahe bei ihm, daß sie seinen Schweiß riechen konnte. Schweiß, der von einer gewissen Angst zeugte.
»Sag doch was.«
»Es ist so still!« flüsterte er.
»Gut ist das – gut.«
»Nein, Doris, nein.« Seine Hand zuckte vor. Ein Finger deutete auf die Treppe. »Es kann nicht gut sein.«
»Warum nicht?«
»Wir hätten etwas anderes hören müssen. Wir hätten mitbekommen müssen, wie er oder die Person weitergegangen wäre. Auf eine Tür zu, die sie dann aufgeschlossen hätte. Ich kann nicht glauben, daß es vorbei ist. Der Showman hat seine Welt verlassen. Er ist jetzt in der Welt der Menschen, und das macht ihn froh. Er kommt endlich an das Fleisch heran, verstehst du?«
»An uns?«
»Ja!«
»Himmel, wie kannst du nur…?«
»Psst!«
Beide schwiegen, denn die Tritte klangen erneut auf. Diesmal noch härter und fester, viel drohender, schon brutal, und eben auf dem Weg nach oben. Das war kein Nachbar aus der unteren Etage. Das war auch keiner, der hier oben wohnte, es war ein Fremder.
Dann betrat der Ankömmling den letzten Treppenabsatz!
Beiden stockte für einen Moment der Atem. Sie erwarteten, IHN zu sehen, den Schrecklichen, den Grausamen, das Untier im Mantel, blutrot und mit einem Schal.
Nichts stimmte.
Der Ankömmling fuhr mit einer Hand an der Wand entlang und fand den Schalter des Flurlichts. Die letzten Stufen wollte er in der matten Helligkeit hochsteigen und hielt dabei den Kopf
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