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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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Halle. Jens Lähmung löste sich. Mit angehaltenem Atem folgte sie dem Marshal ins Innere des Gebäudes. Sie eilten an den Büros vorbei zum Personalausgang. Sein Wagen stand in der Nähe auf dem Parkplatz. Sie wagte einen Blick zurück und blieb stehen, um Atem zu schöpfen. Niemand schien sie zu verfolgen.
    »Worauf warten Sie? Steigen Sie ein«, drängte er.
    Ihr Bauch sträubte sich dagegen. Der Kopf entschied anders. Sie musste weg, er fuhr weg, also stieg sie ein. Sie bogen ungehindert in die Umgehungsstraße nach Westen ein.
    »Wohin?«, fragte sie, nachdem sie eine Weile ergebnislos über den Schutzengel nachgedacht hatte.
    »Albuquerque, wo sie herkamen.«
    »Warum? Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?«
    »Drei Fragen. Welche zuerst?«
    »Dann eben nicht«, knurrte sie trotzig.
    Sie hatte keine Lust auf spitzfindige Dialoge, die er offenbar urkomisch fand, seinem Gesicht nach zu schließen. Zudem störten sie die nassen Füße.
    »Was haben Sie eigentlich ausgefressen?«, wollte er nach kurzer Pause wissen.
    »Geht Sie nichts an.«
    Er lachte. »Langsam verstehe ich.«
    »Was verstehen Sie?«
    Statt zu antworten, bremste er ab. Autos stauten sich vor ihnen. Sie reckte den Hals, denn ein Lieferwagen versperrte ihr die Sicht.
    »Polizeikontrolle«, erklärte er ruhig.
    »Verfluchte Scheiße!«
    »Kein Grund zur Panik. Bleiben Sie ruhig. Ich bin auch ein Cop.«
    Zu ihrem nackten Entsetzen zückte er die Hundemarke. Sie stand mit einem Satz auf der Straße, noch bevor das Fahrzeug anhielt, und sprang in die Büsche. Sie hörte noch, wie er sie verärgert zurückrief, dann verdeckten die Sträucher die Sicht. Wie von Kampfhunden gehetzt, rannte sie querfeldein im Schutz des Buschwerks über Stock und Stein zurück zu den ersten Häusern der Stadt. Pats verdammte Kakteen griffen nach ihr, verhakten sich im Stoff der Jeans und zerkratzten ihre Beine, als wollten sie sie an der Rückkehr hindern. Der Marshal, ein Bulle! Keuchend blieb sie unter den Blättern eines riesigen Wacholders stehen. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Was wollte der Cop von ihr? Woher kannte er sie? Es gab nur Fragen ohne Antworten.
    Der Himmel klarte auf. Es hörte auf zu regnen, immerhin. Und sie fasste einen Plan. Die Straße nach Albuquerque war blockiert, die Gegenrichtung vielleicht ebenso. Wenn sie Glück hatte, schenkten die Feds dem Sträßchen nach Lamy weniger Aufmerksamkeit. Mit schmerzenden Füssen und blutverschmierten Waden stieg sie eine halbe Stunde später am Rand der Stadt ins Taxi. Die kurze Fahrt ins Tal verlief ohne weiteren Zwischenfall. Sie kannte Lamy nur aus einer alten Geschichte, die von der Entwicklung der ersten Atombombe im nahen Los Alamos handelte. Eine Haltestelle mitten im Nirgendwo , hieß es dort über die Station an der Bahnstrecke von Chicago nach Los Angeles. Das war vor siebzig Jahren, und genauso sah das einsame Haus immer noch aus.
    »Der ›Southwest Chief‹ nach L. A. fährt fahrplanmäßig um 2:24 Uhr ab«, sagte die Frau am Schalter, dann fügte sie verbindlich lächelnd hinzu: »Heute wird es wohl etwas später.«
    Halb drei war schon spät genug. Zweieinhalb Stunden gefangen an diesem gottverlassenen Ort gab den Feds genug Zeit, sie doch noch zu finden – oder dem Marshal. Sie fluchte innerlich, während sie sich bemühte, cool zu bleiben.
    »Wie viel später?«
    Die Angestellte befragte ihren Computer. »Zurzeit hat er eine Stunde und dreiunddreißig Minuten Verspätung. Die Güterzüge blockieren die Strecke, wissen Sie.«
    Wusste sie nicht. Es spielte keine Rolle. Sie war dazu verdammt, hier zu warten und konnte nichts daran ändern, also versuchte sie, sich zu beruhigen. Zeit gab es genug. Nach zwei Uhr trafen weitere Gerüche ein, darunter süßliche, die dem Marshal glichen. Bei jedem Motorengeräusch auf dem Parkplatz vor der Station zog sie sich in den Schatten der Veranda zurück aus Furcht vor Stetsons und blauen Westen. Warten auf den Amtrak war eine Übung für Zenmeister, die sie nicht beherrschte. Ihre Nerven lagen blank, als die Hupe endlich den herannahenden Zug ankündigte. Ungeduldig eilte sie durch die schmalen Gänge zum Aussichtswagen in der Mitte des Zugs. Am Eingang blieb sie stehen, um bei Bedarf blitzartig in der dunklen Röhre zu verschwinden. Sie wartete eine gefühlte Ewigkeit, bis sich der Zug in Bewegung setzte.
    Ein letzter Blick auf die Station, dann versuchte sie sich zu entspannen. Der Parkplatz hatte sich beinahe geleert. Der Shuttlebus fuhr das

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