Shutdown
mitteilen zu wollen.«
»Wie spät ist es?«
»Halb vier.«
»Nachts?«
»Nachmittag. Ich dachte, es könnte wichtig sein.«
»Danke.«
Jen rieb sich den Schlaf aus den Augen und wankte zum Tisch, wo das Handy neben dem Computer lag.
»14:29:03 POLL PP DA91258FE34.557.GFX«, lautete die letzte Kurznachricht. Übersetzt bedeutete sie soviel wie:
»Gratulation, Sie haben den Jackpot geknackt!«
Sie war auf einen Schlag hellwach. Mit fiebrigen Händen verband sie das Telefon mit dem Laptop und konfigurierte die Verbindung zum ›Pwn Plug‹ an der Uni Berkeley, von dem die Nachricht stammte. Sie kontrollierte die Zugangscodes ein letztes Mal sorgfältig, dann startete sie das Spionageprogramm und hielt den Atem an. Ihr Herz pochte wie zuletzt bei der Flucht aus Rebeccas Haus. Sie wartete lang, sehr lang. Das Programm stellte ihre Geduld auf eine harte Probe.
»Zeig dich, verdammt noch mal!«, zischte sie zwischen den Zähnen.
Die Verbindung erwies sich nicht als die schnellste, doch immerhin schien sie sich langsam zu stabilisieren. Sie überprüfte die Kabelverbindung mehr als einmal, bis sich endlich das Fenster auf dem Bildschirm öffnete, durch das sie direkt in Dr. Schneiders lokales Netz blickte wie durch einen halbdurchlässigen Spiegel und jedes Bit vertrauliche Daten registrierte. Ihr Programm arbeitete tadellos. Der große Datenpuffer zwischen Empfangsteil und Bildschirmausgabe erlaubte ihr, die Geschwindigkeit, mit der die Pakete über das Display huschten, jederzeit zu drosseln, den Nachrichtenfluss gar zu stoppen und zurückzublättern, um die Daten zu analysieren. Sie bestanden hauptsächlich aus Ketten nichtssagender Zahlencodes. Nur hin und wieder tauchten Fragmente von Klartext auf. Überzeugt von der korrekten Funktion des Programms, änderte sie die Einstellungen. Der nutzlose Ballast verschwand vom Bildschirm. Zurück blieben lesbare Textmeldungen. Sie konnte nun in aller Ruhe mitlesen, wer mit wem im Institut und außerhalb welche Nachrichten austauschte.
»›Office P‹?«, fragte Pat etwas spöttisch, als sie ihr eine Tasse Tee hinstellte.
Jen nickte, obwohl bis jetzt nichts auf die geheimnisvolle Organisation hindeutete. Sie tastete nach der Tasse, ohne den Bildschirm für einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen. Ihr war klar, dass sie die empfangenen Daten später auf der Festplatte nochmals würde untersuchen müssen. Trotzdem konnte sie den Blick nicht vom Spionagefenster lösen. Sie starrte auf die schnell wechselnden Nachrichten, E-Mails, Chat-Texte, Ausschnitte aus Dokumenten, bis ihre Augen brannten und sie nicht mehr zwischen dem, was sie sah und was sie sich einbildete unterscheiden konnte. Oder war das Kürzel ›officep‹ keine Einbildung? Hastig hieb sie auf die Leertaste, die den Meldungsfluss anhielt.
»Wen haben wir denn da?«, rief sie schmunzelnd.
Die Zeile am oberen Rand des Ausgabefensters bestand nur aus Kurzzeichen. Sie hatte das Muster schon tausend Mal gesehen. Es war ein Ausschnitt aus dem Kopf einer E–Mail, diesmal adressiert an ›officep‹. Sie rollte den Text um einige Zeilen zurück, bis der Absender erschien.
»Dich kennen wir doch auch«, murmelte sie. ›steved‹ hatte die Nachricht an ›officep‹ gesandt.
dringend! warrior macht sich sorgen. nsa trace hat erste firewall geknackt. sfpd und fbi intensivieren fahndung nach moonbase. whistleblower zwingend vorziehen. will op morgen auslösen. antwort!
Die Antwort von ›officep‹ an den Journalisten folgte eine Minute später:
operation whistleblower auf keinen fall vorziehen! planung nicht ändern. ergebnis noch nicht stabil. konsequenzen nicht abschätzbar. risiko fehlschlag zu hoch. unbedingt low profile halten. warrior nach op shutdown schon zu stark exponiert!
Jen stockte der Atem. Wieder und wieder las sie die paar Zeilen und konnte nicht glauben, was sie sah. Nicht die Tatsache, dass die Mails ihre Vermutungen bestätigten, schockierte sie zutiefst, sondern vielmehr der Deckname der Operation, die warrior so dringend auslösen wollte. Gab es solche Zufälle? Sie glaubte keinen Augenblick daran. Whistleblower lautete auch der Deckname, unter dem ihre Truppe aus der Fabrik für Jim Ward von ›CGO‹ gearbeitet hatte. Und warrior, was für ein lächerlicher Name, nur nicht in diesem Zusammenhang. Was wie mangelnde Fantasie eines pubertierenden Gernegroß daherkam, war blutiger Ernst. Es gab keinen Zweifel mehr an der wahren Identität dieses ›Kriegers‹:
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