Shutter Island
Witze erzählt. Mich bei Laune gehalten. Mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen, stimmt das, Lester?«
Teddy schaute Sheehan an. Der Arzt versuchte, Teddys Blick standzuhalten, aber es gelang ihm nicht, er schielte auf seine Krawatte und spielte mit ihr herum. »Ich musste Sie im Auge behalten, ich musste sichergehen, dass Ihnen nichts passiert.«
»Dass mir nichts passiert«, wiederholte Teddy. »Na, das erklärt ja alles. Die moralische Rechtfertigung.«
Sheehan ließ die Krawatte fallen. »Wir kennen uns seit zwei Jahren, Andrew.«
»So heiße ich nicht.«
»Seit zwei Jahren. Ich bin Ihr behandelnder Therapeut. Seit zwei Jahren. Sehen Sie mich an! Erkennen Sie mich wirklich nicht?«
Mit dem Aufschlag der Jacke wischte sich Teddy den Schweiß aus den Augen. Nun sah er klarer. Er sah Chuck. Den guten alten Chuck, der so unbeholfen mit Schusswaffen umging und Hände hatte, die nicht zu seinem Beruf passten, denn es waren nicht die Hände eines Polizisten. Es waren die Hände eines Arztes.
»Du warst mein Freund«, sagte Teddy. »Ich hab dir vertraut. Ich hab dir von meiner Frau erzählt. Ich hab dir von meinem Vater erzählt. Ich bin eine Riesenklippe runtergeklettert, um nach dir zu suchen. Hast du dabei auch auf mich aufgepasst? Dass mir nichts passiert? Du warst mein Freund, Chuck. Oh, Entschuldigung, Lester.«
Sheehan zündete sich eine Zigarette an, und Teddy freute sich zu sehen, dass auch seine Hände zitterten. Zwar nur leicht, nicht annähernd so heftig wie Teddys, und das Zittern hörte auf, sobald die Zigarette angezündet war und Lester das Streichholz in den Aschenbecher geworfen hatte. Trotzdem …
Hoffentlich hast du es auch, dachte Teddy. Was immer es ist.
»Ja«, sagte Sheehan (und Teddy musste sich zwingen, nicht mehr Chuck in ihm zu sehen), »ich hab auf Sie aufgepasst. Dass ich verschwunden bin, gehörte ebenfalls zu Ihrem Fantasiegebilde, ja. Aber Sie sollten Laeddis’ Aufnahmeformular oben auf der Straße finden, nicht unten auf der Klippe. Es ist versehentlich runtergefallen. Als ich es aus der Gesäßtasche zog, hat es mir der Wind aus der Hand gerissen. Ich bin hinterhergeklettert, weil ich wusste, dass Sie es sonst tun würden. Aber ich konnte mich vor Angst nicht bewegen. Hockte da direkt unter dem Vorsprung. Zwanzig Minuten später sind Sie vor meiner Nase nach unten geklettert. Wirklich, nur dreißig Zentimeter entfernt. Ich hätte Sie beinahe berührt.«
Cawley räusperte sich. »Wir hätten die Sache fast abgeblasen, als wir sahen, dass Sie diese Klippe runterwollten. Wäre vielleicht besser gewesen.«
»Abgeblasen.« Teddy kicherte verstohlen in die Faust.
»Ja«, sagte Cawley. »Abgeblasen. Das Ganze war eine Inszenierung, Andrew. Ein –«
»Ich heiße Teddy.«
»Ein Schauspiel. Aus Ihrer Feder. Wir haben Ihnen nur geholfen, es aufzuführen. Aber das Stück funktioniert nur mit dem richtigen Ende, und das war von vornherein, dass Sie zu diesem Leuchtturm kommen.«
»Wie praktisch«, sagte Teddy und schaute sich um.
»Seit fast zwei Jahren erzählen Sie uns nun schon diese Geschichte. Dass Sie hergekommen sind, um eine entlaufene Patientin zu suchen und dabei auf unsere Nazi-ähnlichen Methoden, auf Gehirnwäsche à la Sowjetunion gestoßen sind. Dass die Patientin Rachel Solando ihre Kinder auf ähnliche Weise getötet hat wie Ihre Frau Ihre gemeinsamen Kinder. Dass Sie irgendwann ganz nah dran waren, aber da wurde Ihr Kollege aus dem Weg geräumt, und Sie mussten sich allein durchschlagen. Aber wir haben Sie gepackt. Wir haben Ihnen Drogen eingeflößt. Und dann wurden Sie eingewiesen, ehe Sie Ihrem erfundenen Senator Hurly alles berichten konnten. Möchten Sie die Namen der aktuellen Senatoren des Staates New Hampshire sehen, Andrew? Ich hab sie da.«
»Sie haben das alles inszeniert?«, fragte Teddy.
»Ja.«
Teddy lachte. Er lachte so heftig wie seit langem nicht mehr. Er lachte und hörte sein Gelächter widerhallen, das Echo überschlug sich, vereinte sich mit den immer noch aus seinem Mund dröhnenden Lauten, wirbelte auf, lief an den Wänden hinunter und erhob sich wie eine Wolke draußen über die Brandung.
»Wie inszeniert man denn einen Hurrikan?«, fragte Teddy und schlug auf den Tisch. »Erklären Sie mir das mal, Doktor.«
»Einen Hurrikan kann man nicht inszenieren«, sagte Cawley.
»Nein«, sagte Teddy, »kann man nicht.« Abermals schlug er auf den Tisch.
Cawley betrachtete Teddys Hand, dann sein Gesicht. »Aber hin und wieder kann
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