Shutter Island
nicht mal genau, wo sein Körper ist. Er sieht seine Frau, sie kommt den langen Flur hinunter auf ihn zu, aber er kann seinen Körper nicht sehen, nicht einmal fühlen. Hinter Dolores, am anderen Ende des Flurs, hängt ein Spiegel, aber sich selbst sieht er darin nicht.
Dolores geht ins Wohnzimmer, und ihr Rücken ist verkohlt, er schwelt. Sie hält die Flasche nicht mehr in der Hand, aus ihrem Haar steigen kleine Rauchsäulen auf.
Vor dem Fenster bleibt sie stehen. »Ach, guck. Jetzt sind sie schön. Wie sie treiben.«
Teddy stellt sich neben sie ans Fenster, und Dolores ist nicht mehr verbrannt, sie ist klatschnass, und nun sieht er sich im Fenster, sieht seine Hand, die auf ihrer Schulter ruht, seine Finger, die auf ihrem Schlüsselbein liegen, und sie dreht den Kopf und drückt ihm einen schnellen Kuss auf die Finger.
»Was hast du getan?«, fragt er, ohne zu wissen, warum.
»Schau sie dir an da draußen.«
»Du bist ja ganz nass, Schatz«, sagt er, aber wundert sich nicht, dass sie nicht antwortet.
Der Blick aus dem Fenster ist nicht der, den er erwartet hat. Es ist nicht der Blick aus dem Apartment auf der Buttonwood, sondern der Blick von einem anderen Ort, an dem sie einmal waren, einer Hütte. Draußen ist ein kleiner Teich, in dem Holzstämme treiben, und Teddy bemerkt, wie glatt sie sind, sie drehen sich fast unmerklich. Das Wasser zittert und schimmert weiß im Mondlicht.
»Das ist ein schöner Pavillon«, sagt sie. »So schön weiß. Man kann die frische Farbe riechen.«
»Er ist schön.«
»Und?«, fragt Dolores.
»Hab im Krieg viele Menschen umgebracht.«
»Deshalb trinkst du.«
»Vielleicht.«
»Sie ist hier.«
»Rachel?«
Dolores nickt. »Sie ist nie fort gewesen. Du hast es fast gesehen. Fast.«
»Das Gesetz der 4.«
»Das ist ein Code.«
»Klar, aber wofür?«
»Sie ist hier. Du kannst nicht gehen.«
Er schlingt von hinten die Arme um sie, vergräbt das Gesicht in ihrem Nacken. »Ich werde nicht gehen. Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr.«
Ihr Bauch reißt auf, und die Flüssigkeit fließt ihm über die Hände.
»Ich bin nur eine Kiste voller Knochen, Teddy.«
»Nein.«
»Doch. Du musst aufwachen.«
»Du bist hier.«
»Nein. Das musst du verstehen. Sie ist hier. Du bist hier. Er ist auch hier. Zähl die Betten. Er ist hier.«
»Wer?«
»Laeddis.«
Der Name fährt ihm durch Mark und Bein.
»Nein.«
»Doch.« Sie legt den Kopf in den Nacken, schaut zu ihm auf. »Das weißt du.«
»Weiß ich nicht.«
»Doch, weißt du. Du kannst nicht weg.«
»Du bist immer so verkrampft.« Er massiert ihr die Schultern, und sie stöhnt leise, überrascht. Er bekommt einen Ständer.
»Ich bin jetzt entspannt«, sagt sie. »Ich bin zu Hause.«
»Dies ist nicht dein Zuhause«, sagt er.
»Doch, sicher. Mein Zuhause. Sie ist hier. Er ist hier.«
»Laeddis.«
»Laeddis«, sagt sie. Und dann: »Ich muss gehen.«
»Nein.« Er weint. »Nein. Bleib hier.«
»O Gott.« Sie lehnt sich an ihn. »Lass mich los.«
»Bitte geh nicht.« Seine Tränen rinnen über ihren Körper und vermischen sich mit der Flüssigkeit aus ihrem Bauch. »Ich muss dich noch ein bisschen länger in den Armen halten. Noch ein kleines bisschen. Bitte.«
Sie gibt ein leises Geräusch von sich – halb Seufzen, halb Heulen, zerrissen und schön in seiner Qual – und küsst ihn auf die Fingerknöchel.
»Na gut. Halt mich fest. So fest du kannst.«
Und er hält seine Frau. Hält sie und lässt sie nicht mehr los.
Um fünf Uhr morgens, der Regen tropfte auf die Welt, stieg Teddy aus dem oberen Etagenbett und nahm das Notizbuch aus seinem Mantel. Er setzte sich an den Tisch, an dem sie gepokert hatten, und schlug die Seite mit Rachel Solandos Gesetz der 4 auf.
Treys und Bibbys Schnarchen war so laut wie der Regen. Chuck schlief ruhig auf dem Bauch, eine Faust neben dem Ohr, als flüstere sie ihm Geheimnisse zu.
Teddy betrachtete das Blatt Papier. Es war relativ einfach, sobald man wusste, wie man es zu lesen hatte. Eigentlich ein Geheimalphabet für Kinder. Dennoch war es ein Code, und Teddy brauchte eine Stunde, um ihn zu knacken.
Er schaute auf. Chuck beobachtete ihn vom unteren Bett, das Kinn auf die Faust gestützt.
»Haun wir ab, Chef?«
Teddy schüttelte den Kopf.
»Bei dem Scheißwetter haut keiner ab«, sagte Trey, stieg aus dem Bett und zog das Rollo hoch. Eine ertrinkende Landschaft von perlgrauer Farbe kam zum Vorschein. »Wie sollte man auch?«
Plötzlich drohte der Traum Teddy zu
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