Shutter Island
stehen, Frankie erzählte gerade von Futtermittelhandlungen in Iowa oder so, und als Teddy die verschwitzte Belagerungsmauer der Tänzer durchbrochen hatte, wusste er nicht, was er sagen sollte. Hübsches Kleid? Darf ich Ihnen etwas ausgeben? Sie haben wunderschöne Augen?
»Verirrt?«, fragte sie.
Nun war er dran. Sie war kleiner als er, maximal eins sechzig auf hohen Absätzen. Unerhört schön. Keine makellose Schönheit wie viele Frauen dort mit perfekter Nase, perfekten Lippen und perfekter Frisur. Ihr Gesicht hatte etwas Ungeordnetes, die Augen standen ein bisschen zu weit auseinander, ihr Mund war so breit, dass er ihr kleines Gesicht in Unordnung brachte, das Kinn war unentschlossen.
»Ein bisschen«, sagte er.
»Was suchen Sie denn?«
Bevor er sich auf die Zunge beißen konnte, war es schon heraus: »Sie.«
Ihre Augen weiteten sich, und er entdeckte einen bronzenen Fleck in ihrer linken Pupille, und schmerzhaft fühlte er am ganzen Körper, dass er es verbockt hatte, dass er als Romeo versagt hatte. Er war zu selbstsicher, zu sehr von sich eingenommen gewesen.
Sie .
Wie um alles in der Welt war er auf diese Antwort gekommen? Was zum Teufel hatte er –?
»Nun«, sagte sie …
Er wäre am liebsten fortgelaufen. Nicht eine Sekunde länger konnte er ihren Blick ertragen.
»… da mussten Sie wenigstens nicht weit laufen.«
Ein dämliches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit, spiegelte sich in ihren Augen. Er war ein Dummkopf. Ein Esel. Dankbar, überhaupt atmen zu dürfen.
»Nein, Miss, brauchte ich wohl nicht.«
»Meine Güte«, sagte sie, lehnte sich zurück, um ihn anzusehen, das Martiniglas an die Brust gedrückt.
»Was?«
»Sie sind hier genauso fehl am Platz wie ich, stimmt’s?«
Er beugte sich vor und schaute durchs Fenster ins Taxi. Sie saß mit ihrer Freundin Linda Cox im Fond, Linda nannte dem Fahrer gerade die Adresse, und Teddy sagte: »Dolores.«
»Edward.«
Er lachte.
»Was ist?«
Er hob entschuldigend die Hand. »Schon gut.«
»Nein, ehrlich!«
»Nur meine Mutter nennt mich Edward.«
»Dann sag ich besser Teddy.«
Es war herrlich, den Namen aus ihrem Mund zu hören.
»Ja.«
»Teddy«, sagte sie abermals, probierte das Wort aus.
»He, wie heißen Sie mit Nachnamen?«, fragte er.
»Chanal.«
Teddy hob fragend die Augenbraue.
»Ich weiß«, sagte sie. »Passt überhaupt nicht zu mir. Klingt so eingebildet.«
»Darf ich Sie anrufen?«
»Können Sie sich Zahlen merken?«
Teddy grinste. »Nichts leichter als das …«
»Winter Hill 64346«, sagte sie.
Da stand er auf dem Bürgersteig, das Taxi fuhr los, und die Erinnerung an ihr Gesicht so nah vor ihm – im Taxi, auf der Tanzfläche – hätte beinahe einen Kurzschluss in seinem Gehirn verursacht und ihren Namen und die Telefonnummer gelöscht.
Er dachte: So fühlt es sich also an, wenn man liebt. Nichts daran war logisch – er kannte sie kaum. Und dennoch war das Gefühl da. Er hatte gerade die Frau getroffen, die er schon seit alters her kannte, schon vor seiner Geburt. Sie war das Maß aller Träume, die er sich nie gestattet hatte zu träumen.
Dolores. Sie saß nun auf der dunklen Rückbank und dachte an ihn, spürte ihn so, wie er sie spürte.
Dolores.
Mehr hatte er nie gebraucht, jetzt hatte es einen Namen.
Teddy drehte sich auf seinem Feldbett, streckte die Hand aus und tastete auf dem Boden herum, bis er sein Notizbuch und die Streichholzschachtel fand. Am Daumen riss er das erste Streichholz an und hielt es vor das Blatt, das er im Wind vollgekritzelt hatte. Er verbrauchte vier Hölzer, bis er die Buchstaben und Zahlen zugeordnet hatte:
18 – 1 – 4 – 9 – 5 – 4 – 19 – 1 – 12 – 4 – 23 – 14 – 5
R – A – D – I – E – D – S – A – L – D – W – N – E
Danach dauerte es nicht mehr lange, und er hatte die Wörter entschlüsselt. Noch zwei Streichhölzer, und Teddy starrte auf den Namen. Die Flamme kam seinen Fingern immer näher.
Andrew Laeddis.
Das Streichholz wurde heißer, Teddy sah zu Chuck hinüber, der zwei Betten weiter schlief, und hoffte, es würde seiner Karriere nicht schaden. Das wäre nicht gut. Teddy würde alle Schuld auf sich nehmen. Chuck würde schon klarkommen. Er hatte diese Ausstrahlung: Was auch passierte, Chuck bekam keinen Kratzer ab.
Teddy schaute auf das Blatt und erhaschte einen letzten Blick, ehe das Streichholz erlosch.
Ich werde dich heute finden, Andrew. Wenn ich Dolores nicht mein Leben schulde, dann bin
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